Sieben Menschen in einem großen Netz, am Boden ihr Schatten
Bildrechte: Florian Lösche

Bühnenbild von Florian Lösche für "Woyzeck" am Thalia Theater Hamburg

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Bühnenbildner Florian Lösche an den Münchner Kammerspielen

An den Münchner Kammerspielen feiern am Samstag "Die Vaterlosen" von Anton Tschechow Premiere. Die Inszenierung von Jette Steckel ist starbesetzt u.a. mit Wiebke Puls und Joachim Meyerhoff. Das Bühnenbild stammt vom preisgekrönten Florian Lösche.

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Welche Role spielt eigentlich das Bühnenbild im Theater? Das Bühnenbild für "Die Vaterlosen" von Anton Tschechow, die am Samstag in den Münchner Kammerspielen Premiere feiern, stammt von Florian Lösche, Jahrgang 1981, aufgewachsen in Dießen am Ammersee, Studium an der Kunstakademie München. Vom Hamburger Thalia Theater über die Berliner Schaubühne, die Salzburger Festspiele und das Wiener Burgtheater bis zur Bayerischen Staatsoper hat der preisgekrönte 41-jährige bereits für alle namhaften Bühnen im deutschsprachigen Raum gearbeitet.

Aus einem großen schwarzen Nichts eine ganze Welt erschaffen: das ist die Aufgabe eines Bühnenbildners. Grundlage ist dabei immer der Text des Stücks – aber das heißt noch lange nicht, dass man diesen Text eins zu eins bebildern muss. Florian Lösche geht die Sache abstrakter an. Seine Bühnenbilder wecken Assoziationen, bauen Stimmungen auf, bilden Gerüste für Beziehungsgeflechte. Sie verschaffen den Schauspielerinnen und Schauspielern einen Raum, in und mit dem sie spielen können.

Schauspieler spielen im Netz

Die Skizzen und Modelle für seine Arbeiten entstehen in seinem Atelier in einem alten Künstlerhaus in Dießen am Ammersee. Die Bühnenbilder selbst werden in den Theaterwerkstätten gebaut. Auf dem Computer zeigt Lösche Fotos einer älteren Arbeit am Hamburger Thalia-Theater und erzählt: "Das ist ein riesiges Kletternetz, in dem die Schauspieler den ganzen Abend gespielt haben, und das hat sich an vier Punkten im Raum bewegt und gekippt. Es wurde viel geklettert und auf der anderen Seite gab es das erzählerische Element, über die Bildwelt hat sich total viel transportiert."

Das Netz löst eine ganze Flut völlig unterschiedlicher Assoziationen aus: Rettung oder Gefangenschaft, Vertrauen oder Gefahr, man kann durch das Netz hindurch rutschen oder daran emporklettern, mal von oben nach unten, mal von unten nach oben sprechen und dabei auch noch kopfüber hängen.

Bühnenbilder wie Skulpturen

Lösches Bühnenbilder sind Skulpturen oder Installationen, die oft mitten auf der Bühne stehen. Die Schauspieler müssen mit ihnen umgehen. Etwa die Weltkugel aus "Dantons Tod": ein entkernter Globus, auf mehreren Ebenen bespielbar. Das Bühnenbild wird zum aktiven Mitspieler, manchmal sogar wortwörtlich. Für Ibsens "Volksfeind" am Burgtheater in Wien ließ Florian Lösche sieben riesige Zwerge herstellen, in jeder der bis zu 8 Meter hohen Figuren steckte ein Techniker, der seinen Zwerg über die Bühne lotste. Das Bühnenbild als sich wandelnder Organismus, zu dem der Schauspieler in Beziehung tritt. "In meinen Arbeiten ist es meist so: Es gibt eine starke Setzung, eine Behauptung, einen Raum und der hat aber im besten Fall viele Möglichkeiten in Erscheinung zu treten und wandelt sich über das Stück."

Für eine Inszenierung der "Medea" errichtete Florian Lösche mitten auf der Bühne eine dicke Mauer aus Altkleiderpaketen, in Folie gewickelt und geschnürt. Die einzelnen Module konnte man wie Bausteine aus der Wand herausnehmen, bis ein Loch entstand und die Wand zu einer Art Höhle machte, in der die Schauspieler herumklettern konnten. Die herausgebrochenen Pakete dienten ihnen zugleich als Spielmaterial, konnten verschoben, geschichtet, geworfen werden.

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Bühnenbild von Florian Lösche für "Woyzeck" am Thalia Theater Hamburg

Manchmal sei er sich selbst nicht ganz sicher, ob seine Ideen am Ende auch wirklich realisierbar sind, erzählt Florian Lösche. Aber Denkschranken gibt es nicht, erst mal träumen, imaginieren! Ein halbes Jahr vor der Premiere präsentiert er sein Modell: "Man kommt so aus dem Atelier mit seinem Köfferchen und mit der Idee, und dann wird das angeschaut und dann gibt es erste Beurteilungen in welche Richtung das gerade geht, ob es finanziell machbar ist, ob es technisch absoluter Wahnsinn ist oder ob es umsetzbar ist. Aber es ist erst mal wichtig, dass die Idee transportiert wird. Und dann – und das ist das wunderbare – gibt es im Theater einfach auch irrsinnig viele Spezialisten, die in der Lage sind, Dinge möglich zu machen, von denen man erst mal gar nicht geglaubt hat, dass sie machbar sind. Es gibt die Schwerkraft, aber es gibt eben auch Wege, sie auszuhebeln, man muss nur den Weg finden und man muss dran glauben. Und wenn das funktioniert, dann ist es die Wunderkiste Theater."

Mit Licht zeichnen

Besonders gern arbeitet Florian Lösche mit Licht. Für ein Stück über einen Mann mit einem Granatsplitter im Kopf installierte er einmal über den Köpfen der Zuschauer eine Reihe LED-Stäbe: Als dünne lange Linien durchschnitten sie den Raum und formten dabei Lichtexplosionen, in verschiedenen Farben aufleuchtend, berstend, erstarrend. Mit Licht arbeiten sei wie Zeichnen im schwarzen Raum, sagt Florian Lösche. Manche dieser Arbeiten sind skizzenhaft, fast zart, andere haben eine enorme Präsenz, die die Schauspieler herausfordert.

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Bühnenbild von Florian Lösche für "Guillaume Tell" an der Bayerischen Staatsoper

Eine seiner aufwändigsten Arbeiten war "Wilhelm Tell" an der Bayerischen Staatsoper: 50 von der Decke hängende graue Zylinder, die hinauf- und hinabfahren konnten, erinnerten mal an die metallische Kälte eines Maschinenraums, mal an Orgelpfeifen oder einen wogenden See. "Es sind die Orgelpfeifen", erzählt Florian Lösche, "es ist der Wald, es sind die faschistischen Säulen, es ist auch ein bisschen Kanonenmaterial und das eben alles auch als Zitat. Und das war schön: Man konnte über die Länge einer Arie so ganz langsam den Wald aufbauen, das war wie eine Zeichnung."

In der Abstraktion liegt die Vielfalt, die Vielschichtigkeit, die Möglichkeit, Zwischentöne auszudrücken, etwas zu kommentieren, eine eigene Geschichte zu erzählen. Im besten Fall weist das Bühnenbild über das Stück hinaus. Nur ein Wermutstropfen bleibt: Seine Kunst ist flüchtig: "Alles, was übrig bleibt, ist ein Modell und Fotos und Leute, die es gesehen haben. Im besten Fall hat es ihnen gefallen. Dann ist das manchmal wie ein Mythos, dass bestimmte Stücke gesehen wurden, von denen erzählt wird. Das hat auch etwas Schönes."

Florian Lösches aktuelle Arbeit können Sie ab kommenden Samstag, den 3.6. in den Münchner Kammerspielen erleben, dann haben "Die Vaterlosen" nach Anton Tschechow Premiere.

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