Buchcover von "Meinungskrise und Meinungsbildung. Eine Philosophie der Doxa"
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Christian Bermes: Meinungskrise und Meinungsbildung. Eine Philosophie der Doxa

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Buchtipp: Christian Bermes' "Meinungskrise und Meinungsbildung"

Der Essay "Meinungskrise und Meinungsbildung" des deutschen Schriftstellers und Philosophie-Professors Christian Bermes ist für den renommierten Tractatus-Preis des Philosophicums Lech nominiert worden. BR24 stellt das neue Buch vor.

Der Schriftsteller und Philosophie-Professor Christian Bermes befasst sich in seinem neuen Essay "Meinungskrise und Meinungsbildung. Eine Philosophie der Doxa" mit dem Konzept der Meinung und mit der Frage, in welchem Zusammenhang Meinungen und Wissen stehen. Das neue Buch des 53-Jährigen ist vor Kurzem im "Meiner Verlag" erschienen und für den berühmten Tractatus-Preis des Philosophicums Lech nominiert worden.

Wir sind heute für den immensen Wert der Meinung blind

Es gab mal eine Zeit, da lautete eine höfliche Nachfrage "Wie meinen?". Es waren die Tage von Taktgefühl, Contenance und Respekt. Sehr empfehlenswerte Tugenden, ohne die ein Meinungsaustausch nicht gelinge, sagt Christian Bermes.

"Wenn wir den Umgang mit Meinungen – den eigenen und denen der anderen – verstehen wollen, und wenn dieser Umgang sich so beschreiben lässt wie eine Kunst, mit entschiedener Unentschiedenheit umzugehen – so beschreibe ich das im Buch –, dann benötigt man solche Techniken, Tugenden oder Kompetenzen, denn ansonsten, würde ich sagen, verliert man schlicht den Halt oder man bleibt meinungsblind." Christian Bermes

Blind für den immensen Wert der Meinung sind wir heute, das ist die These dieses klugen Essays. Bermes hält gar nichts von der abschätzigen Rede von "bloßen Meinungen" oder "Einzelmeinungen". Und er argumentiert in seinem 122-seitigen, gut lesbaren Buch sehr überzeugend gegen die landläufige Opposition "entweder wissenslose Meinung oder wahres Wissen" an.

An diesem falschen Dualismus nämlich krankt unsere gegenwärtige Debattenkultur, so findet der an der Universität Koblenz-Landau lehrende 53-jährige Philosophie-Professor: "Die eigentlich spannende Frage – und das ist die philosophische Frage, die dann auch diskutiert wird – ist doch die, in welchem Zusammenhang Meinungen und Wissen stehen."

Wir stecken in einer "Meinungskrise"

Wissen ist einer alten Definition zufolge "begründetes Meinen". In unserer Gegenwart von Meinungsüberschuss und -überdruss droht das in Vergessenheit zu geraten. Meinungsforschungsinstitute erheben "Meinungsbilder", das "Meinungsklima" ist in aller Munde, jeder von uns kann auf Twitter, Facebook oder Instagram seine Meinung in die Welt blasen.

Und doch, so scheint es, sind wir immer weniger in der Lage, andere Meinungen "auszuhalten". Stattdessen schwadronieren manche von "Meinungskorridoren" oder "Meinungsdiktatur", andere wiederum diagnostizieren an sich selbst eine gewisse "Meinungsmüdigkeit". Kurzum: Wir stecken in der "Meinungskrise", die Christian Bermesʼ Essay den Titel gibt.

Auf den ersten Blick könnte man sagen, so Christian Bermes, dass man in den sogenannten sozialen Medien, in institutionalisierten Medien oder auch durch Meinungsumfragen sehr vielen Meinungen gegenüberstehe. Gleichzeitig komme es zu so etwas, was man dann Meinungsempörung nennt. Meistens gegenüber den anderen Meinungen, nicht gegenüber den eigenen Meinungen.

Konzept der Meinungen ist obdachlos geworden

"Nun, wenn ich von einer Meinungskrise spreche, dann spitze ich die Sachlage noch einmal zu und frage: Könnte es denn nicht sein, dass wir bei aller Meinungsempörung und bei allen Meinungsangeboten gar nicht mehr so recht wissen, was Meinungen überhaupt sind? Könnte es nicht sein, dass die eigentliche Meinungskrise in einer Art Meinungsblindheit zu suchen ist? Man könnte auch sagen, dass das Konzept der Meinungen obdachlos geworden ist, es hat keinen Platz mehr in unserem intellektuellen Haushalt, weil auf der einen Seite wissenschaftlich gesicherte Tatsachen stehen, und auf der anderen Seite nur noch Stimmungen", erläutert Christian Bermes.

So sehr Zeitungen oder Magazine eine gewisse "Meinungsführerschaft" beanspruchen mögen und sich als "Meinungsmacher" verstehen: Dass die traditionellen Medien, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk, lediglich "zur Meinungsbildung beitragen", hält Christian Bermes für eine kluge Selbstbescheidung.

"Ich empfehle hier, sich in Zurückhaltung zu üben. Es ist schon viel damit gewonnen, dass sich die Leser, die Zuhörer und Zuschauer selbst ein Bild machen können. Man muss nicht gleich noch die Hand der Zuschauer beim Zeichnen des Bildes führen." Christian Bermes

Christian Bermesʼ äußerst lesenswerter Essay ist für 14.90 Euro im Meiner Verlag erschienen. Wo auch sonst?

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