Lange hat die Kunstwelt sie übersehen, dann kam die britische Bildhauerin Phyllida Barlow doch groß raus, zuletzt vor zwei Jahren mit einer beeindruckenden Retrospektive im Haus der Kunst. Jetzt ist die Künstlerin im Alter von 78 Jahren gestorben. Das teilte die Galerie Hauser & Wirth auf ihrer Internetseite mit. Sie vertritt Barlow. Die Bildhauerin habe auf einzigartige Weise die Sprache der Skulptur neu definiert, heißt es in der Würdigung der Galerie.
Monumental und fragil zugleich
Phyllida Barlow versammelte die verschiedensten Materialien und Farben zu monumentalen Skulpturen: bekleckste Holzbretter, orangefarbene Sandsäcke, dicke Taue, Papprohre, Stoffe und Banner. Im Eingang ihrer Schau im Haus der Kunst begrüßten einen "100 Fahnen": ein ganzes Meer aus friedlichen Fahnen, ein Arsenal aus Sandsäcken, das alle möglichen Assoziationen weckt, aber so gar nichts Nationalistisches hat.
Viele ihrer Skulpturen scheinen vertraute Alltagsdinge zu sein, die aber beim näheren Hinsehen befremden, nicht machen, was sie versprechen – etwa die balkonartigen Wandskulpturen aus dicken Tauen, auf die gewiss kein Mensch treten kann. Oder: zwei abgetakelte, aber farbenfrohe Schirme in einem Eck.
Phyllida Barlow im Haus der Kunst
Eindrücke aus London nach dem Krieg
In ihrem Werk wirken die Erfahrungen von Krieg und Zerstörung nach, die Barlow machte, als sie nach dem Zweiten Weltkrieg nach London zog. Phyllida Barlow wurde 1944 in Newcastle-Upon-Tyne in Nordengland geboren, ist mit fünf Jahren nach London umgezogen. "Als sie jung war, Ende der 40er-Jahre, ist sie mit dem Vater in die Stadt gefahren und hat alle zerstörten Gebäude gesehen und auch den Wiederaufbau der Stadt. Das hatte sehr starken Einfluss auf sie und ist eigentlich das Thema der gesamten Ausstellung: zu sehen, wie man eine Gesellschaft wieder aufbauen könnte." So der Kurator der Schau im Haus der Kunst 2021.
Phyllida Barlows Werke waren auf internationalen Ausstellungen zu sehen, unter anderem auf der Biennale von Venedig (2017). Das Sprengel Museum Hannover ist besonders mit der Künstlerin verbunden: Der Direktor des Museums hat Dienstag seiner Trauer um Barlow Ausdruck verliehen: "Als Mensch wie als Künstlerin hat sie das Herz unseres Museums erobert und wir verneigen uns in großer Dankbarkeit vor ihr. Unser ganzes Mitgefühl gilt ihrer Familie." Nach Museumsangaben starb die britische Künstlerin am Sonntag.
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