Bildrechte: Judith Buss/Münchner Kammerspiele

Blick aus dem Jenseits

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Bombe, Penis, Palästina: "Die Attentäterin" in München

Eine Frau sprengt sich auf einem Kindergeburtstag in die Luft, und ihr Ehemann hat zehn Jahre lang nichts von ihrer Radikalisierung gemerkt: Der ganze Wahnsinn des Nahostkonflikts als Doku-Drama statt Familiensaga. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: LÖSCHEN Kultur am .

Routenplaner sind in Israel kein guter Ratgeber, so weiß der Zuschauer nach diesem Theaterabend: Sie übersehen gern die vielen Straßensperren und Checkpoints. Da kann eine Autofahrt schon mal doppelt so lang dauern wie angegeben. So ist er, der Alltag im „Nahen Osten“, diesem Krisengebiet, das es fast jeden Tag in die Nachrichten schafft, und zwar schon seit 1948. Unlösbar sei dieser Konflikt heißt es, hoffnungslos: Da werden die einen gleichgültig, die anderen zu verzweifelten „Märtyrern“, also Selbstmordattentätern, darunter auch Frauen.

Tod einer Ehefrau

Den verhängnisvollen Weg einer solchen „Attentäterin“ beschrieb der algerische Schriftsteller Yasmina Khadra in seinem gleichnamigen Roman aus dem Jahr 2006. Der iranische Autor und Regisseur Amir Reza Koohestani, der nicht gern auf seine nationale Herkunft reduziert werden möchte, machte daraus jetzt ein Stück für die Münchener Kammerspiele. Inhalt: Der Arzt Amin Jaafari, ein Araber mit israelischem Pass, wird darin mit dem brutalen Tod seiner Ehefrau konfrontiert. Ohne dass er es über zehn Jahre hinweg merkte, radikalisierte sie sich und sprengte sich schließlich inmitten eines Kindergeburtstags in die Luft.

Labern am Küchentisch

Regisseur Amir Reza Koohestani und seine Ausstatterin Mitra Nadjmabadi zeigen das als Selbsterfahrungsdrama am Esstisch, der erst in einer Krankenhaus-Kantine, später im Knast und noch später im Haus einer palästinensischen Familie steht. Es wird unfassbar viel geredet, ja gelabert, und zwar aneinander vorbei. Auf der israelischen Seite sind alle Beteiligten genauso rat- und hilflos wie jenseits der Mauer, in den Palästinensergebieten. Tote Kinder werden hüben und drüben dreist gegeneinander aufgerechnet, Verhöre verlaufen im Sande, Rechtfertigungen gleiten ins Absurde ab, am Ende schlägt eine Drohnen-Rakete ein – abermals müssen Leichen beseitigt werden. Kein Ausweg, nirgends.

Wahnsinnstat wird gefeiert

Ein düsterer und anstrengender Abend in den Münchener Kammerspielen, und leider auch kein sonderlich erhellender. Arzt Amin, beeindruckend authentisch und intensiv gespielt von Thomas Wodianka, will unbedingt wissen, warum seine Frau Sihem (aus dem Jenseits zugeschaltet: Mahin Sadri) zur Attentäterin wurde, erfährt aber letztlich nur, was sowieso jeden Tag in der Zeitung steht. Da gibt es den fanatischen Scheich (nicht sehr textsicher: Walter Hess), den eifernden Intifada-Kämpfer (viel zu brav und kontrolliert: Benjamin Radjaipour) und die solidarische Familie von Sihem, die deren Wahnsinnstat auch noch gemeinsam mit den Nachbarn bejubelt und mit Musik und Tanz feiert. Der Hass macht es möglich, aber wozu braucht es dazu einen zweistündigen Theaterabend?

Streit um Penisgrößen wird Politikum

Wie die Ehe, in der beide Partner so wenig voneinander wissen, eigentlich gelebt wurde, das wäre interessant gewesen. Auch die Gewaltkultur in Gaza und der Westbank blieb zaghaft angedeutete Behauptung. Es wurde eindeutig zu viel vordergründig politisiert, sogar eine Debatte über Penisgrößen wird sofort zum bizarren Streit über den Nahostkonflikt, die Beschneidung macht´s möglich. Das alles mag dokumentarisch gut recherchiert sein, ehrlich, mitunter sogar erheiternd und aktuell, aber es berührt kaum, die Personen bleiben allesamt klischeehaft, mehr Allegorien als Menschen. Das wird durch die Kostüme noch verstärkt: So trägt Attentäterin Sihem ein schwarzes Kleid, das von roten Applikationen übersät ist – nicht gerade ein feinfühliges Outfit für eine "Leiche".

Flucht vor den Hausaufgaben

Dem Fanatiker fehlt selbstredend nicht das „Palästinensertuch“, der Scheich sieht genauso aus wie in Bekenner-Videos, die potentielle nächste Attentäterin wirkt, als ob sie auf der Flucht vor den Hausaufgaben ist. Schade: Hoffnungslos war der Nahost-Konflikt schon vorher, da wäre mehr Groteske angemessen gewesen, mehr absurdes Theater, schwarzer Humor oder eine auch eine multikulturelle Familiensaga von epischer Wucht. Das aber wurde hier nur dröge angedeutet. Eine Mischung aus Seminar und Versuchsanordnung.

Wieder am 10., 19. und 31. März 2018.