Im Jahr 1990 verbringt der weltbekannte Schachspieler Bobby Fischer drei Monate in der Pension "Pulvermühle" in Waischenfeld im Landkreis Bayreuth. Der Amerikaner genießt die Zeit in der Fränkischen Schweiz, wo ihn keiner kennt. Für seine Gastgeber ist die Episode eine unvergessliche Erinnerung. Der Besuch Bobby Fischers in Oberfranken endet jedoch abrupt, danach geht es für ihn steil bergab. Am 9. März 2023 wäre Bobby Fischer 80 Jahre alt geworden.
Bobby Fischer wird 1943 geboren und wächst in Brooklyn in New York auf. In den 1950er-Jahren gilt er als Wunderkind. Selbst erfahrene erwachsende Schachspieler verlieren gegen ihn. Im Oktober 1956 gewinnt Fischer als 13-Jähriger gegen Schachmeister Donald Byrne, das Spiel geht als "Partie des Jahrhunderts" in die Schachgeschichte ein. Den Höhepunkt seiner Karriere erreicht Fischer 1972, als er bei der WM in Island den sowjetischen Weltmeister Boris Spasski besiegt und erster US-amerikanischer Schachweltmeister wird.
Bobby Fischer: Menschenhass und Verschwörungstheorien
Zu diesem Zeitpunkt ist Fischer reich und berühmt, doch nach und nach gibt er sein gesamtes Geld aus. Er stellt immer absurdere Bedingungen für seine Teilnahme an Schach-Turnieren. Er streunt durch Buchläden in Kalifornien und liest antisemitische Verschwörungstheorien. Seine Mutter ist jüdischer Abstammung – er hasst Juden. Die Medien interessieren sich weiter für den gefallenen Star, doch Fischer ist stets auf der Flucht vor der Öffentlichkeit. 1990 besucht er Freunde in Deutschland und landet schließlich in der Pulvermühle.
Die Pension "Pulvermühle" ist damals ein Treffpunkt der deutschen Schachszene. Zuvor war sie bereits als Treffpunkt der Gruppe 47 weltbekannt, eine Gruppe von Schriftstellern, die sich zwei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zusammengefunden hatte und der unter anderem die späteren Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass und Heinrich Böll, Marcel Reich-Ranicki oder Paul Celan angehörten.

Sie suchten stets die Abgeschiedenheit der Provinz, die linken, intellektuellen Literaten, die sich zur "Gruppe 47" zusammengeschlossen hatten.
Zu der Zeit, als Bobby Fischer in Waischenfeld ankommt, betreibt die Familie Bezold die Pension. Michael Bezold ist da 18 Jahre alt. Er erinnert sich, dass Fischer eigentlich nur für eine Woche bleiben wollte. Es kommt jedoch anders.
In der Pulvermühle wird der Schachstar zum Familienmitglied
Sobald der junge Michael Bezold nachmittags von der Schule heimkehrt, wird Schach gespielt – oft stundenlang. Bobby Fischer geht mit Vater Bezold auf Kreistagssitzungen und isst mit der Familie deutsche Hausmannskost. Am Abend sitzen alle gemeinsam im Wohnzimmer und schauen Nachrichten. Fischer kann kein Deutsch, aber reimt sich schnell zusammen, um was es geht.
Eines macht der Vater Bobby Fischer von Anfang an klar: Über Politik wird nicht gesprochen. So will er sich von Fischers Meinungen abgrenzen und seine Kinder schützen. Fischer schimpft nicht nur auf Juden, sondern auch auf Russen und Amerikaner. Er äußert sich rassistisch und frauenfeindlich.
Nichtsdestotrotz macht Fischer Witze über Schwarze und Juden, die den jungen Bezold damals schockieren. Familie Bezold geht darauf nicht ein. Erst später reflektiert Michael Bezold das Wesen Fischers genauer und empfindet Mitleid: Das ständige Misstrauen gegen alles und jeden, die hasserfüllten Gedanken gegen Juden, Schwarze, Amerikaner und Russen müssten furchtbar kräftezehrend gewesen sein.
Dann fliegt Bobby Fischers Tarnung auf
Gern hätte Fischer länger in der Pulvermühle verweilt. Eines Tages tauchen jedoch zwei Stern-Reporter auf: Seine Tarnung ist aufgeflogen. Mit der Ruhe ist es nun vorbei. Das weiß der Schachspieler und ergreift die Flucht. Er lebt eine Zeitlang in Osteuropa, später in Japan und stirbt 2008 schließlich verarmt und einsam in Island. Was genau passiert ist und mehr über Bobby Fischers Leben bei den Bezolds erfahren Sie im radioFeature.
Michael Bezold hat wenig Zeugnisse von der Zeit mit Bobby Fischer. Der Schachstar auf der Flucht wollte auf keinen Fall, dass jemand Fotos macht. Bis auf einen Eintrag im Gästebuch der Pension Pulvermühle zeugt heute nichts mehr von der Anwesenheit Bobby Fischers in Oberfranken.
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