Der Bolero läuft, aber das Setting ist eiskalt. Eine Sicherheitskontrolle am Flughafen. Ein männlicher Avatar wird wieder und wieder durchleuchtet. Daneben werden Behälter voll seltsamer Gegenstände durch den Scanner transportiert. Dickflüssiges Blut, undefinierbare Sekrete, einzelne Körperteile. Während dieser beunruhigende Prozession löst sich der Avatar immer mehr auf. Er fängt an, sich selbst auseinander zu bauen, zieht sich Schicht um Schicht die Haut vom Gesicht, trennt sich die Finger ab. Unterwirft sich widerstandslos einer unbekannten Kontrollinstanz. Am Ende bleibt ein erbarmungswürdiger, geschundener Mensch, verwundet, mit durchscheinender Haut.
Ein starkes Stimmungsbild der Gegenwart von 28 Künstlern
„Safe Conduct“, sicheres Geleit heißt diese bitterböse Video-Installation von Ed Atkins. Der Brite gilt als Pionier einer jungen Künstlergeneration, die mittels digitaler Technik hyper-reale, verstörende Parallel-Welten erschafft. Ed Atkins verbindet dabei Ton, Bild und poetische Texte und hinterfragt den Einfluss von Automatisierung und Kontrolle auf das Leben heute. Nur eine von 28 Positionen in der Ausstellung im Haus der Kunst zur Frage, an was man heute glauben kann. Wem man vertrauen kann? Welche Möglichkeiten der Orientierung es gibt, in einer Welt, in der es so schwierig geworden ist, den Überblick zu behalten. Die Ansätze sind vielfältig. Die Künstler verbindet nur, dass sie allesamt unter 50 sind und Arbeiten aus den letzten 5 Jahren zeigen. Ein starkes Stimmungsbild der Gegenwart.
Den Blick für die Abgründe der digitalen Welt schärfen
Interessant dabei: Kaum eine Arbeit ist technikfeindlich, eher scheint es den Künstlern darum zu gehen, den Blick dafür zu schärfen, wie sehr digitale Welten uns beherrschen. Naufus Ramírez-Figueroa aus Guatemala untersucht, wie soziale Medien Ängste ausbeuten und manipulieren.Im Zentrum stehen Verschwörungstheorien: Etwa die des Publizisten David Icke, der auf Youtube verkündet: Reptilien werden die Weltherrschaft übernehmen; manche davon sind Außerirdische, manche Juden. „God’s Reptilian Finger“, Gottes Reptilienfinger, hat Ramírez-Figueroa seine delikate Installation genannt. Man betritt durch einen Vorhang eine Art Mini-Kosmos. In einem dunklen Raum schweben Skulpturen, geformt wie Steine oder Körperteile - befördert vom Schwarzlicht schillern sich in allen erdenklichen Farben. Im Zentrum: ein gigantischer Finger, der auf den Betrachter zeigt. Man wird auf sich selbst zurück geworfen – denn Ramírez-Figueroa lässt sich zwar von den bildmächtigen Heilslehren inspirieren, zeigt aber, dass sie absolut beliebig sind.
Rückzug auf den Körper
Der bunte Riesenfinger Gottes, der verletzte Avatar – es fällt auf, dass sich in Zeiten der sich auflösenden Sicherheiten viele Künstler auf den Körper zurück besinnen, auf die eigene physische Basis. Da passt es ins Bild, dass man diese Ausstellung durch eine Art Geburtskanal betritt und auch wieder verlässt. Schummriges Licht, eine aufgebahrte Figur, menschenähnlich, aber geschlechtslos. "Womb Tomb", der Mutterleib als Anfang allen Lebens, das Grab als Ende, kommen und gehen. Die liegende Figur reagiert auf Raum und auf Temperatur: wenn sie kalt ist, ist sie dunkel-lila, je wärmer sie wird, desto heller, bunter, milchiger scheint sie.
Die deutsch-irische Künstlerin Mariechen Danz erforscht in Performances, Skulpturen und Zeichnungen, wie so etwas wie Wissen überhaupt entsteht – hier anhand der Anatomie-Geschichte. Mit ihrem hoch symbolischen „Grabmal für den Mutterleib“ treibt sie ihre Auseinandersetzung mit dem Körperbild in unterschiedlichen Zeiten und Kulturen auf die Spitze. Aus den Wänden ringsum ragen, an Eisenstangen befestigt, nachgebildete menschliche Organe: Magen, Niere, Lunge, Herz, Hirn. Ihre Umrisse werfen sanfte Schatten an die Wände – ein vom Körper gemaltes Höhlengleichnis. Und Platons alte Frage, ob der Mensch die Wahrheit erkennen kann. Die Antwort heute: Weniger denn je.