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Bilder vom Lesen - die Ausstellung im Franz-Marc-Museum Kochel

Gestern wurde die große Jubliäumsausstellung im Franz-Marc-Museum eröffnet, schließlich ist der Neubau jetzt zehn Jahre alt: Die Kunst der Bilder schaut auf die Kunst der Bücher, es geht ums Lesen – um Bilder vom Lesen und um das Lesen von Bildern.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Eine Frau sitzt ganz selbstvergessen lesend an einem Tisch. Die linke Hand ruht auf dem Buch, die rechte stützt das Kinn. Ihr Gesicht ist abstrakt in zwei Ansichten gemalt: Im Profil gleicht es einer weißen Maske, von vorne leuchtet es in kräftigen Blau. „Die Lektüre“ heißt Picassos Gemälde aus dem Jahr 1953, auf dem er seine Lebensgefährtin Françoise Gilot darstellt. Cathrin Klingsöhr-Leroy, Direktorin des Franz-Marc-Museums, versucht sich an einer Deutung: "Hinter dem weißen Gesicht taucht eine blaue Mondscheibe auf, das ist das zweite Gesicht, so habe ich es empfunden, das ist das Gesicht, das den kreativen Akt, die Imagination, die Phantasie verkörpert, auch die Farbe Blau würde ja als spirituelle Farbe passen, und diese Doppelansicht, die ja grundsätzlich verankert ist in seinem Werk, zeigt er, wie der Leser zwei Fähigkeiten haben muss: Einmal Entziffern, und auf der anderen Seite Verstehen und das ihm Angemessene entstehen lassen, Assoziationen entwickeln, das Gelesene mit den eigenen Erfahrungen verknüpfen – dieser Vorgang ist in dem Bild sehr schön anschaulich gemacht. “

Verschiedene Spielarten des Lesens

Das Franz-Marc-Museum zeigt zum zehnjährigen Jubiläum Bilder vom Lesen. Inspiriert von Marcel Prousts Text „Über das Lesen“, dessen Manuskript in der Ausstellung präsent ist, veranschaulichen neunzig Exponate aus vier Jahrhunderten die verschiedenen Aspekte des Lesens und evozieren die Atmosphäre der Räume, in denen sich Lesende in ihrer Phantasie aufhalten. Dass man auf den Schwingen der Imagination fliegen kann, hat Picasso auch angedeutet, in der rechten Hand der Lesenden, die zu Flügeln wird.

Lektüre findet häufig in der Atmosphäre häuslicher Intimität statt, wie Bilder von Auguste Renoir, Max Liebermann und auch ein Pastell von Edouard Vuillard zeigen, der seine Mutter beim Schein der Lampe lesend porträtiert, ganz in ihrer stillen Welt geborgen. Lesen muss aber nicht immer die anderen ausschließen, es kann auch eine Verbindung schaffen: August Macke malte seine Frau Elisabeth und seinen zweijährigen Sohn Walther eng verbunden bei der Lektüre eine Bilderbuches, von dem ein heller Schein das Gesicht des Kindes aufleuchten läßt. Wie in einer Mandorla sind Mutter und Kind in einem Oval verbunden, ein Motiv, das auf die christliche Ikonografie verweist. Dass Lesen auch eine erotische Komponente haben kann, wird in einer Fotografie von Henri Cartier-Bresson deutlich: Die schönen langen Beine elegant übereinandergeschlagen, sitzt eine Leserin auf einem Sofa, ein geöffnetes Buch auf dem Schoß, den Rücken an die Lehne geschmiegt. Ihr Kopf und Oberkörper sind nicht abgebildet, was der Aufnahme von 1967 eine Aura von Reiz und Geheimnis verleiht. Auch in Pierre Klossowskis Zeichnung des lesenden Roland Barthes scheint dieser Aspekt auf, in einem angedeuteten Frauenakt, der dem Lesenden gleichsam über die Schultern gelegt ist, transparent und flüchtig wie ein Traum.

Die archaische Stille des Buchs

Einen emanzipatorischen Aspekt hingegen kann man auf Gabriele Münters feiner Umriß-Zeichnung aus den späten 1920er Jahren entdecken: Eine junge Frau sitzt selbstbewußt am vorderen Rand eines Sessels, den Blick nach unten auf den Brief in ihren Händen gerichtet, die Beine weit abgewinkelt, sodass sie den ganzen Bildraum ausmessen. Das Verhältnis von Zeichen und Bedeutung wird in Werken von Paul Klee und Cy Twombly thematisiert, die sich mit dem Gestus des Schreibens und Entziffern auseinandergesetzt haben. Das jüngste Werk der Ausstellung, entstanden 2013, bleibt besonders im Gedächtnis: Eindrucksvoll lässt Tacita Dean in ihrer großformatigen Fotografie „The Book End of Time“ das Thema Vergänglichkeit anklingen: Ein Buch, das sie über Wochen in einem Salzsee versenkt hatte, ist nach dem Emporholen mit Kristallen überwachsen. Faszinierend in seiner befremdlichen Schönheit, seiner an Korallen erinnernden Fragilität, geborgen aus einer anderen Welt, nicht mehr entzifferbar. Cathrin Klingsöhr-Leroy glaubt: "Es könnte ein Sinnbild für das Ende der Epoche des Lesens sein – dieses Buch ist ja so versteinert, dass man die Seiten nicht mehr umblättern kann. Das hat etwas Endgültiges, es hat was von einem Objekt, in dem die Zeit gefangen ist... und dieses Buch passt ganz wunderbar zu einem Zitat von Walter Benjamin, der von der archaischen Stille des Buches spricht und der schon in den 20er Jahren gesagt hat: Wir leben in einer Zeit, in der es viel Zerstreuung gibt – Lichtreklamen, Geschwindigkeit, Geräusche, so dass kaum jemand die Chance hat, in die archaische Stille des Buches zu versinken.“