Ja, man konnte dieses Jahr Dinge sehen im Wettbewerb der Berlinale, die vielleicht einmal als Kulturwandel begriffen werden, nicht nur im Kino, sondern ganz prinzipiell. Die Berlinale war im Vorfeld ins Gerede gekommen, weil sie angeblich die MeToo-Debatte nicht entsprechend berücksichtige. Da seien ja neben 15 Männern nur vier Frauen im Wettbewerb vertreten, hieß es von Kritikern. Abgesehen davon, dass es die tatsächlich beachtliche Zahl von vier Frauen in der Konkurrenz um den Hauptpreis in den letzten Jahren weder in Cannes noch in Venedig gegeben hat, immer waren es weniger oder sogar gar keine, muss man der Entwicklung der Gleichberichtigung auch ein bisschen Zeit geben. Strukturell bedeutet das, dass ein Filmfestival erst eine Parität im Programm erreichen kann, wenn ihm bei der Vorauswahl mehr Filme von Frauen zur Verfügung stehen. Aber das liegt in der Verantwortung der noch stark männerdominierten Filmindustrie.
Reaktionen auf MeToo
Die Berlinale hat sich trotzdem sehr beachtlich aus der Affäre gezogen. Der rote Teppich wurde zur Bühne der „Nobodys Doll“-Aktion von Anna Brüggemann; es gab eine große Podiumsdiskussion zum Thema MeToo; die Einrichtung einer Ombudsstelle für Missbrauchsopfer bei Dreharbeiten wurde verkündet, und die polnische Regisseurin Małgorzata Szumowska, die dann auch noch den Großen Preis der Jury gewann, verlas das Manifest der europäischen Film-Charta gegen Belästigung „Speak up“.
Starke Frauen
Dazu kam dann noch ein Wettbewerbsprogramm mit Filmen, wie man sie so noch nicht gesehen hat, vor allem in Bezug auf Frauenfiguren, die weit von allen Klischees und männlichen Phantasien entfernt waren. Da gab es etwa ein berührendes, alt gewordenes lesbisches Paar in Paraguays Hauptstadt Asunción, in dem Film „Las Herederas“. Die eine der beiden Darstellerinnen, Brun, wurde mit dem Silbernen Bären als beste Schauspielerin geehrt. Dazu kam noch eine coole Cow-Woman zwischen lauter hilflosen Cow-Boys in dem feministischen Western „Damsel“. Und nicht so schnell vergessen wird man die schwedische Schauspielerin Léonore Ekstrand, die in dem wunderbar durchgeknallten Immobilien-Thriller „The Real Estate“ als 68jährige Hausbesitzerin mit Rambo-Stirnband und Pump Gun in einem Motor-Speedboot nach Stockholm fährt, um den siebten Stock ihres geerbten Wohnblocks zu entmieten.
Großartig kuratiert
Klar – es gab auch tolle Männer auf der Leinwand zu sehen, den deutschen Shooting-Star Franz Rogowski etwa gleich in zwei Filmen, aber beeindruckend waren eben dieses Jahr die Frauen, weil sie so gar nicht den typischen weiblichen Rollenbildern entsprachen. Großartig kuratiert war dieser Berlinale-Wettbewerb, und das ging in den Nebensektionen so weiter, etwa mit Susanne Wolf als einer Alleinseglerin über den Atlantik in „Styx“, einem Meeresdrama, das dann vor allem den Umgang mit Flüchtlingen thematisiert. Und es gab den großartigen Dokumentarfilm „Djamilia“, eine Umfrage unter kirgisischen Frauen, die die Heldin aus Dschingis Aitmatows gleichnamiger Erzählung zum Vorbild haben.
Über das Ziel hinaus
Alles war gut. Nur die paritätisch besetzte Wettbewerbsjury mit Präsident Tom Tykwer schoss dann vermutlich unbewusst ein bisschen übers Ziel hinaus, als sie nicht die besten Filme prämierte, sondern die beiden Hauptpreise des Festivals einfach Frauen gab, deren Filme zwar gut, aber eben nicht überragend waren.