"Wie ich damit zurechtkomme? Gar nicht", Paul Maar schraubt an seinem Ehering herum. Der Kinder- und Jugendbuchautor spricht über die Krankheit seiner Frau Nele: Alzheimer. "Jetzt fange ich gleich an, zu heulen", sagt er. Seit über 60 Jahren sind Paul und Nele verheiratet. Sie half dem damals schüchternen Jungen dabei, sich von seinen bürgerlichen Fesseln zu befreien und sein Glück zu finden. Sie öffnete ihm die Tür zur Welt der Kultur.
"Deinen Namen kennst du nicht mehr"
Heute sitzt Nele im Rollstuhl, kann nicht mehr selbst aufstehen. Auch sprechen kann Nele nicht mehr. Das macht ihrem fürsorglichen Mann zu schaffen. Er frage sich oft, was sie in ihrem vorherigen Leben falsch gemacht hätten. Vor fünf Jahren erkrankte die ausgebildete Familientherapeutin an Alzheimer. Sie baue immer mehr ab, so Maar. In einem nach "Nele" benannten Gedicht hat er die Situation beschrieben:
"Deinen Namen kennst du nicht mehr. Sprache ist für dich Lautäußerung ohne Sinn. Doch wenn ich deine Nase zwischen meine Finger nehme und sanft daran rüttle, lächelst du wie früher." Paul Maar
"Ich wäre am liebsten mit der Tapete verschmolzen"
Maars leibliche Mutter ist kurz nach der Geburt an einer Entzündung der Brust gestorben. Sein Vater heiratete daraufhin erneut. Mit seiner Stiefmutter kam Paul sehr gut klar. Jedoch habe er lange gebraucht, den Schatten seines Vaters loszuwerden. Seit dieser aus der Kriegsgefangenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrte, war die einst harmonische Vater-Sohn-Beziehung dahin. Für den kleinen Paul ging es mit seinem Vater und seiner Stiefmutter vom Land zurück in seine Geburtsstadt Schweinfurt, die sie wegen der Bombardements im Krieg verlassen hatten. "Ich kam vom Himmel in die Hölle", so Maar.
In der neuen Schule fand er schwer Anschluss, sein wohl vom Krieg gezeichneter Vater habe ihn bei Problemen in der Waschküche mit dem Gartenschlauch geprügelt. Wenn sein Vater nach Hause gekommen sei, wäre Maar am liebsten mit der Tapete verschmolzen. Bloß nicht negativ auffallen, sei sein Motto gewesen, um sich Ärger zu ersparen. Heimlich flüchtete sich Maar immer häufiger in Bücherwelten und begann obsessiv zu malen.
Schüchterner Junge trifft aufgeschlossenes Mädchen
In der zwölften Klasse lernte der schüchterne Paul dann die aufgeschlossene Nele kennen. Sie verliebten sich und küssten sich nach einer Schulfeier das erste Mal. Maar war skeptisch, weil Nele doch aus einer Künstlerfamilie stammte und es in Schweinfurt viele Gerüchte gegeben habe. Doch die Zweifel waren unbegründet. "Wenn ich einmal heirate, möchte ich ein Leben lang mit meinem Mann zusammenbleiben und drei Kinder haben", soll Nele bei einem Ausflug gesagt haben. Und sie hielt Wort.
Am Theater der Schwiegereltern sammelte Paul erste Erfahrungen als Künstler. 1960 heirateten die beiden mit Anfang 20. Sie bekommen einen Sohn und zwei Töchter und führen eine gleichberechtigte Ehe, wie Paul sagt. Beide gingen Arbeiten und beide kümmerten sich um die Kinder.
Maar hat Probleme mit Vater nie ausgeräumt
Mit dem Buch "Eine Woche voller Samstage" und den weiteren Teilen der Sams-Reihe hat Maar weltweiten Erfolg. Insgesamt hat er nach eigener Aussage rund 60 Bücher und 20 Theaterstücke geschrieben. Die Probleme mit seinem Vater hat Maar trotz lebenslangem Kontakt nicht ausräumen können. Sein Vater erkrankte an Demenz und starb. Im Nachlass fand Paul Briefe. In ihnen hatte sein Vater an seine Stiefmutter geschrieben, dass sie sich, sollte er im Krieg fallen, einen Mann suchen solle, der gut zu Paul sei. Das habe Paul berührt.
Paul Maar: "Durch sie bin ich der geworden, der ich heute bin."
Heute ist sein Leben von Sorgen um Nele bestimmt. Seine größte Sorge sei es, wenn er eher sterben würde als sie – und Nele ganz alleine wäre. Zusammen mit vier Pflegerinnen kümmert sich Paul Maar um seine Frau. Am Tisch halten sie Händchen und Paul lächelt seine Frau an. Sie erwidert das Grinsen. Zumindest das: Alzheimer habe ihre liebenswürdige Seite mehr zum Ausdruck gebracht. Vorher habe sie nicht so häufig geschmust.
Am Dienstag wird Paul Maar 85 Jahre alt. Zu seinem Geburtstag werden zwei Neuerscheinungen veröffentlicht. Hätte seine heutige Frau ihm nicht damals die Tür zur Kultur geöffnet, würde es Werke wie diese heute wohl nicht geben. Beim Fernsehen am Abend legt er den Arm um seine Nele. Für Maar steht fest: "Durch sie bin ich der geworden, der ich heute bin."

Paul Maar
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