Etel Adnan war eine wahrhaft internationale Intellektuelle und Künstlerin. Ihre Mutter eine Griechin. Ihr Vater ein Syrer, der in seiner Jugend Kemal Atatürk kennengelernt hatte. Geboren und aufgewachsen ist Adnan im Libanon. Als Studentin und Universitätsdozentin war sie in Paris und in Kalifornien. Inzwischen ist sie eine Ikone der Frauenbewegung. Ihre Malerei erlebte ihren internationalen Durchbruch bei der Documenta vor zehn Jahren.
"Das Leben ist so spannend. Das ist wie ein Krimi, wie ein Roman. Denn wirklich Kriege, Exil, sich wirklich ständig verändernde geopolitische Bedingungen – das bildet den Rahmen für Etel Adnans bewegtes Leben und auch für ihr engagiertes Werk", sagt Melanie Vietmeier vom Lenbachhaus München, die Ko-Kuratorin dieser fulminanten Ausstellung.
Adnan begann Ende der 1950er Jahre zu malen
Eine Schau, die es schafft, das bildnerische Schaffen von Adnan nicht unter all den Lebensereignissen – Zweiter Weltkrieg, Algerienkrieg, libanesischer Bürgerkrieg – zu vergessen. Adnan wurde zunächst eine weltbekannte Lyrikerin, eine Intellektuelle, aber erst mit über 30 zur Malerin und Zeichnerin. Aus einem hochpolitischen Grund.
"Etel Adnan begann am Ende der 50er Jahre zu malen. Und das war ein ganz entscheidender Moment. Es fiel nämlich zusammen auch mit dem Unabhängigkeitskrieg Algeriens. Und es war der Moment, an dem sie sagte, sie möchte nicht mehr in der Sprache der Kolonialmacht Frankreich schreiben und arbeiten, als Schriftstellerin, als Lyrikerin, als Poetin. Und so war für sie die Bildende Kunst auch ein Ausweg aus dieser Sprachlosigkeit, sich in eine universelle Sprache zu begeben, die ohne Text, ohne Schrift funktionierte", sagt Ko-Kuratorin Vietmeier.
Etel Adnan, Persian, 1963-64
Am nächsten zu ihren poetischen Werken stehen ihre selbstgezeichneten Leporellos, aus der asiatischen Kultur entlehnte meterlange Faltbriefe, in denen sie Blatt für Blatt ein Thema behandelt, und die jetzt aufgeklappt in Vitrinen umkreist werden können. Zu ihrer Geburtsstadt Beirut fallen ihr da zum Beispiel viele maritime Motive ein – das Meer, die Segler, die untergehende Sonne. Die Ölbilder bleiben dagegen bis auf gelegentliche Landschaftszeichen abstrakt.
Strahlende Farben streicht sie mit dem Messer direkt aus der Tube auf die Leinwände. So werden selbst kleine Formate zu leuchtenden Wandzeichen. Etel Adnan hat kurz vor ihrem Tod im November 2021 noch von ihrer ersten deutschen Retrospektive im Lenbachhaus München erfahren und war begeistert. Denn genau so wie Wassily Kandinsky kommt sie vom Figurativen zur Abstraktion. Bei ihr steht bisweilen eine grelle Sonne oder ein stimmungsvoller Mond über dem Bildgeschehen.
Auch das literarische Werk ist im Kunstbau zu sehen
Paul Klee war mit seinen kleinen, aber doch monumentalen Ölgemälden ein echtes Vorbild. Und Gabriele Münter galt ihr als frühemanzipierte Vorgängerin. Etel Adnans Bilder zeigen einige wiederkehrende Motive. Eines davon ist der Mount Tamalpais in den USA, sagt Vietmeier. "Sie konnte diesen Berg aus ihrem Fenster sehen und hat ihn immer wieder gemalt und bezeichnet ihn auch selbst als wichtigste Begegnung in ihrem Leben. Und so hatte sie die Wetterphänomene vor Augen, die die Farben des Berges änderten, der Nebel, der ihn fast verschluckte. Dann kam die Sonne, strahlte ihn an. Die Farben wurden intensiv, nahmen zu."
Da ging es Etel Adnan nicht anders als Claude Monet ein Jahrhundert zuvor vor der im Tageslicht sich ändernden Fassade der Kathedrale von Rouen. Auch das literarische Werk ist im Kunstbau zu sehen. Am Ende der Ausstellung ist die "Arabische Apokalypse" ausgestellt, das englischsprachige Manuskript des Langgedichts Adnans über den algerischen Unabhängigkeitskrieg, erstmals erschienen 1989. Immer wenn die Dichterin und Malerin nicht weiterschreiben will, macht sie ein kleines Zeichen. Es ist sehr elegant, kalligraphisch, und steht doch für die ganzen Verheerungen eines Krieges.
Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!