Ein Videoclip im Treppenhaus zur Ausstellung. Im gelben Schalensessel dreht sich Niki de Saint Phalle zu den Betrachtern und stellt sich vor als eine Frau, die monumentale Skulpturen schafft. Dann sieht man sie zielend, mit dem Gewehr, und sie zerschießt ihre Gipsgebilde: Köpfe, Tassen, Blumensträuße. 1961 dann zertrümmern ihre Kugeln Gipsreliefs, in denen sie Farbbeutel versteckt hat. Die Bilder bluten Farbe. Das macht sie schlagartig berühmt.
Blitzkarriere ganz ohne Social Media
Ein Fall von Blitzkarriere zu Beginn des Pop-Zeitalters. Kuratorin Katharina Dohm: "Ich glaube, dass sie das auch bewusst eingesetzt hat, sie war sich ihrer medialen Attraktion bewusst, die Schießbilder entstehen in Paris im Hinterhof 1961, zwei Jahre später schießt sie vor illustrem Publikum in Amerika und es wird in Farbe fürs Fernsehen aufgenommen. Und schon in Paris, die ersten Schießbilder, wurden von TV-Berichten gefilmt, was ja damals schon spektakulär war. Und ohne Social Media oder Twitter ist sie quasi viral gegangen."
Mit ihren "Nanas" hat sie ihren unverkennbaren Stil gefunden
Die Autodidaktin Niki de Saint Phalle ist ein Senkrechtstarter in der Kunstszene der 1960er Jahre, sie verkörpert den jugendlichen Zeitgeist, der wegen Algerienkrieg, OAS-Terrorismus, Kubakrise und Kaltem Krieg Auswege aus der sich andeutenden Menschheitskatastrophe sucht. In ihren frühen Malereien und Assemblagen zeigt sich die angehende Künstlerin noch beeindruckt von Art brut, Neo-Dada und Surrealismus.
Aber mit ihren "Nanas" ab Mitte der 1960er Jahre hat sie ihren unverkennbaren Stil gefunden: Diese voluminösen Frauengestalten mit ihren buntfarben ornamentalen Trikots sehen aus wie Schwimmerinnen, die ihrem Frauenschicksal – Gebären, Kinderaufziehen, Kochen, Haushalt führen – lieber davonkraulen und sich ins offene Meer begeben. Oder sich vielmehr bedenkenlos in die Lüfte erheben, mit ekstatisch-freudigen Posen.
Niki de Saint Phalle, Nana rouge jambes en l'air, um 1968, Polyester, bemalt, auf Eisendraht, 220 x 185 x 120 cm
Erstaunlich, was diese Frau geleistet hat
Die Identität der Frau, und auch die eigene Suche als Frau und als Künstlerin in der damaligen Gesellschaft, sei das Thema was Niki de Saint Phalle von Beginn bis zum Ende beschäftigt habe, sagt die Kuratorin Katharina Dohm. "Und die Nana ist ein Höhepunkt, der wirklich das Matriarchat aufruft."
Niki de Saint Phalle, die in Barcelona von Gaudis Park Güell begeistert war, setzt zunehmend Mosaiktechnik ein, um ihre Skulpturen damit zu bekleiden. Und sie interessiert sich für Architektur und Landschaftsgestaltung. An ihren berühmten Tarotgarten in der Toskana wird in dieser Ausstellung mit kleinen Modellen und Zeichnungen erinnert, ihre Theaterinszenierungen sind durch entsprechende Plakate vertreten. Ihre Aufklärungskampagnen zu AIDS, zur Abtreibung oder dem Schusswaffenmissbrauch in den USA formulierte sie in piktografischen Briefen und Grafiken.
"Verschlingende Mütter"
Erstaunlich, was diese Frau geleistet, in was sie sich eingemischt hat, wie sie sich ihre Farbfröhlichkeit bewahren konnte. Dass die aus adeliger Familie stammende Niki de Saint Phalle mit Traumata zu kämpfen hatte – von ihrer kaltherzigen Mutter bekam sie wenig Zuwendung, ihr Vater hatte sie, wie sie Anfang der 2000er Jahre offenbarte, missbraucht – wird in dieser Ausstellung nur gelegentlich spürbar: durch brutal wirkende Frauengestalten, die sogenannten "Verschlingenden Mütter", und kopfüber hängend präsentierte Männerfiguren.
Niki de Saint Phalle bei der 800-Jahr-Feier von Notre-Dame in Paris mit einer Schießaktion, 1963.
Mitreißend fröhlicher Kitsch
Dass die Wände der Schirn Kunsthalle komplett in Pink getaucht sind, das dann in Richtung Lila changiert, hätte nicht unbedingt sein müssen, da die Augen angesichts dieser Werke ohnehin in Farben baden. Aber die Schirn hat sich seit langem für Ausstellungsknaller entschieden und ist bei deren Inszenierung nicht gerade zimperlich.
Und so kommt sich fast spießig vor, wer nach dem Kitschfaktor im Werk dieser Künstlerin zu fragen wagt. Oh ja, das ist ziemlich viel Kitsch dabei. Aber der Kitsch im Werk von Niki de Saint Phalle kommt so mitreißend fröhlich daher, dass man ihn ganz gut vertragen kann. Nicht nur das. Ein bisschen sehnt man sich sogar nach der unbefangenen Feuerwerksmentalität jener 1960er Jahre.
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