Die Schriftstellerin Anne Rabe
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Anne Rabe stellt bei den Wortspielen ihr Roman-Debüt vor

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Auftakt des Wortspiele-Festivals: Anne Rabe und ihr neuer Roman

Aufwachsen nach der Wende in Ostdeutschland – das heißt für Stine: aufwachsen inmitten einer verunsicherten, leidgeprüften Erwachsenenwelt, in der Abhärtung groß geschrieben wird. Anne Rabe erzählt davon in ihrem Debüt: "Die Möglichkeit von Glück"

"Man muss bei einer Geburt nicht schreien", sagt die Mutter zu ihrer Tochter. Da hat die gerade gestanden: Wie viel Angst sie hat vor der Geburt ihres Kindes, was ja durchaus ein Gespräch hätte beginnen, eine Annäherung hätte ermöglichen können. Aber dieser Satz "Man muss bei einer Geburt nicht schreien", macht in seiner Härte natürlich alles zunichte.

Lauter verpasste Chancen des Miteinander

Anne Rabes Roman "Die Möglichkeit von Glück" liest sich hier und da wie ein Archiv für solche verpassten Chancen. Ein Archiv für Situationen, in denen ein Gespräch zwischen Generationen oder Familienmitgliedern hätte gelingen können, in denen sich die Tür mal einen Spalt breit öffnet, aber sofort zugeschlagen wird.

Das "Glück", das steht im Titel des Romans, im Zentrum aber steht etwas anderes: die Angst zum Beispiel oder das Schweigen, traurige Antwort auf die Angst. "Ich glaube, es gibt eine Erfahrung, die in dem Buch auch beschrieben wird", sagt die Autorin, Anne Rabe, "dass die Generation, der Stine angehört und der auch ich angehöre, grad in den 90er Jahren sehr viel allein bewältigt hat. Und dass die natürlich aufgrund der politischen Veränderungen mit Erwachsenen konfrontiert waren und Autoritätsfiguren, die sehr verloren waren."

In Ostdeutschland aufwachsen nach der Wende

Worum also geht es? Stine heißt die Protagonistin und Erzählerin des Romans und sie ist – wie ihre Autorin – Mitte der 80er-Jahre in der DDR geboren, groß geworden also in den 90er Jahren. Die Erwachsenen um Stine herum setzen da anderes auf ihre Prioritätenliste als eine bedürfnisorientierte Erziehung. Lehrer suchen nach der eigenen Autorität – im neuen System. Eltern haben selbst keinen Halt und schweigen sich aus: über ihre politische Vergangenheit, den Ursprung ihrer Ängste, die Gründe für ihre perfiden Grausamkeiten. Denn Grausamkeiten den Kindern gegenüber prägen die Familie, der wir uns mit Stine annähern: Abhärtungsübungen kann man sie vielleicht nennen, und das von Kleinauf.

Nicht eben liebevoll

"Ich sei ja ein ganz einfaches Kind gewesen. Mich hätte man schon nach wenigen Wochen abends einfach bloß ins Bett legen brauchen. Dort sei ich dann eingeschlafen. Ganz von allein," sagt Stines Mutter einmal und die denkt bloß: "Ganz von allein. Oder ganz allein."

Stine ist, als das Buch einsetzt, selbst Mutter geworden, und steigt damit richtig ein in die Arbeit an der Familiengeschichte. Was beides heißt: Sie fragt mutiger als früher, welche Traumata ihre Ursprungsfamilie prägen, und sie beginnt auszuloten: Welche Werte sie sich für die eigene kleine Familie wünscht.

Neues, anderes gefragt

Es gebe immer die Auseinandersetzung zwischen den Generationen, sagt Rabe und da müsse man entscheiden: "Was übernehm' ich, was möchte ich weitergeben? Der Widerspruch zwischen Erneuerung und Tradition. Dass man einerseits Dinge bewahren möchte und weitergeben und andererseits Dinge ändern möchte. Und die Stine guckt sehr genau nach: Was bedeutet denn das? Ein Bruch mit einer Tradition. Eine Erneuerung. Und wo nimmt man dann das Neue her? Woraus baut man dann das neue Haus? Insofern ist das eine sehr genaue Durchsicht dessen, was es bedeutet: Alles anders zu machen.

In diesem Buch geht es zwar um die Rekonstruktion von Vergangenheit, die Perspektive aber gehört klar der jungen Generation. Stine fühlt sich ein in die Eltern, Großeltern, sie begibt sich auf deren Spuren, aber die Erzählung bleibt immer in ihrer Hand. Es sind ihre Fragen, ihre Recherchen, die diesen Roman ergeben – und Antworten geben ohnehin eher die Jungen.

Perspektive der jungen Generation

Mit Gleichaltrigen ist ein Gespräch möglich, mit ihnen kann Stine sich verständigen über die Kindheit, in der man Gewalt erfahren, aber auch weitergegeben hat, über die Scham, die daraus resultiert, über die politischen Gründe für privates Glück und Unglück. Und so ist dieses Buch im Grunde ein langes Gespräch mit wechselndem Gegenüber: Stine – die von zu Hause nicht nur mitgekriegt hat, nicht schreien, sondern auch nicht unbedingt sprechen, plappern, fragen zu müssen – holt sich die eigene Stimme zurück: Sie tritt ins Gespräch mit sich selbst, mit Freunden, mit Archiven, die doch etwas wissen über die Vergangenheit der Eltern und Großeltern, und tastet sich so vor: zu Familiengeschichte und Selbstermächtigung.

"Die Möglichkeit von Glück“ von Anne Rabe. Erscheint bei Klett Cotta am 18.03.2023

Freitag 10. März liest Anne Rabe bei den Wortspielen in der Muffathalle aus ihrem Romandebüt vor.

Wortspiele Festival vom 8. - 10-3. im Muffatwerk
Bildrechte: BR

Wortspiele Festival vom 8. - 10-3. im Muffatwerk

Anne Rabe: "Die Möglichkeit von Glück" erscheint am 18. März bei Klett Cotta

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