Brandon Lipchik – Ausstellung "Moonbeams of Allegory"
Bildrechte: Brandon Lipchik. Moonbeams of Allegory lauten: Courtesy the artist und Robert Grunenberg, Foto: Roman März.

Bird Attack, 2022, Öl und Acryl auf Leinwand, 170 x 158 cm

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Auf der Suche: Mary Sibande und Brandon Lipchik in Erlangen

Die Farben des postkolonialen Protests und die magisch-dystopische Welt der Avatare: Im Kunstpalais Erlangen trifft Kunst der Südafrikanerin Mary Sibande auf Landschaften des New Yorkers Brandon Lipchik. Was haben sie gemeinsam? Die Identitätssuche.

Da stehen sie. Übergroß, riesig, von fast übermächtiger Präsenz erscheinen die Figuren auf dem erhöhten Rondell, einer Bühne ähnlich. Von dort aus überragen sie die Betrachter: zwei schwarze Frauen in einer nicht ganz durchschaubaren Interaktion. Ist es ein magischer Tanz, den sie vollziehen, ist es ein ritueller Kampf oder beides zugleich? Oder einfach eine Begegnung der Generationen, ein kommunikativer Prozess dieser doch alterslos wirkenden Frauen. Dabei spiegelt eine der beiden Figuren die Künstlerin Mary Sibande selbst, sie ist ihr Alter Ego. Die andere steht für ihre weiblichen Vorfahren, Mutter, Großmutter, Rollenbilder, die sie als Dienstmädchen in einer von Apartheit, Unfreiheit und Unterdrückung geprägten Welt zu spielen hatten und zu der es keine Alternative gab.

Die Erfindung einer neuen Farb-Symbolik

Die rätselvolle Symbolik entspringt – wie auch die Farbwahl – einer ganz privaten und selbst behaupteten Mythologie der Künstlerin und ist zugleich hochpolitisch. Kobaltblau die Dienstmädchenkluft der einen Skulptur. Leuchtendes Violett bestimmt das kunstvolle Phantasiegewand der anderen, wobei schlangenartige Gebilde – Nabelschnüren oder Tentakeln ähnlich – ihren schwingenden Körper umfassen. Amely Deiss, Leiterin des Kunstpalais, erklärt die Farbgebung: "Mary Sibande arbeitet sich eigentlich entlang der Farben. In Südafrika, wo sie herkommt und lebt, ist Farbe leider noch ein wichtiges Thema im Sinne von Hautfarbe. Da kommt auch ihre ursprüngliche Motivation und ihre Narration her. Sie arbeitet in verschiedenen Farbzyklen. Vom blauen Zyklus über das Lila, was sie als Zeichen ihrer Privilegiertheit und Freiheit gefunden hat. Das geht bis hin zum Rot, was sie auch für die Wut steht und die berechtigte Wut über nach wie vor bestehende Ungerechtigkeiten."

Auf einer großformatigen Fotografie, ganz in grellem Rot, hält eine schwarze Hohepriesterin ein knallrotes Herz in die Höhe als sei es ein magisch befreiender Gegenstand. Und in einer raumgreifenden Installation warten mit lauernden Blicken riesige rote Geier auf das Versagen des blutroten Herzens, das in ihrer Mitte pulsiert. Mary Sibandes Skulpturen, Installationen und Fotografien beschreiben die Konstruktionen schwarzer weiblicher Identität in einer postkolonialen Wirklichkeit und suchen zugleich mit reicher Phantasie und hoher emotionaler Unverfrorenheit nach einer selbstbestimmten Korrektur.

Bildrechte: Mary Sibande, SMAC Gallery Johannesburg

Mary Sibande: The Locus, 2019, Tintenstrahldruck auf Hahnemühle Photo Rag, 200 x 136 cm

Der in New York und Berlin lebende Künstler Brandon Lipchik, geboren 1993, komponiert seine Entwürfe in digitalen 3D Animationsprogrammen und überträgt sie dann malerisch analog auf überdicke Leinwände. Es sind extreme Kunstwelten in einer flirrenden Atmosphäre zwischen Fantasy und Apokalypse. "Meine Arbeiten würde ich als einen Dialog bezeichnen zwischen den Narrativen der digitalen Welt und der Malerei", erklärt Lipchik seine Arbeitsweise," das Digitale bestimmt den Raum, in dem wir uns befinden und beinahe jede Geste unseres täglichen Lebens. Die Übergänge zwischen der realen und digitalen Wirklichkeit sind fließend geworden."

Einflüsse aus Popkultur und Dichtung

In bedrohlich scheinenden Wäldern und Dschungeln spürt Lipchik zwischen Mythos, Wahn, Traum und Alptraum dem verstörten Verhältnis von Mensch und Natur nach. Inspiriert von dem französischen Maler Henri Rousseau wirken seine Kosmen naiv und zugleich unheilvoll. Eine in Weltuntergangsgelb getauchte Figur, wie all seine Figuren einem Avatar ähnlich, wird, hinter einem Zaun scheinbar geschützt, von blau gefiederten Vögeln attackiert. Sein Gesichtsausdruck erstaunt, als sei er unfähig, den Ernst der Lage zu begreifen. Neben dieser Hitchcock-Adaption nutzt der US-Amerikaner Lipchik aber auch Motive aus den "Metamorphosen" von Ovid sowie der christlichen Ikonographie. Tatsächlich findet sich ein "heiliger Sebastian" mit androgynen Zügen. Dabei bedient sich der Künstler vieler verschiedener Perspektiven in einem Bild, kubisch, surreal. Manche Gemälde wirken, als seien die Protagonisten von einer Drohne aus in den Blick genommen.

Künstliches Licht und Mondlicht verleihen den Arbeiten eine Atmosphäre, als seien die letzten Tage der Menschheit unvermeidlich gekommen. Einhundert Jahre nach dem magischen Realismus ist es eine digital genährte Magie, die Lipchik mit zahllosen Dekonstruktionen der Wirklichkeit behauptet. Zwei so starke Ausstellungen im Kunstpalais Erlangen jedenfalls sollte man sich nicht entgehen lassen.

Die Ausstellungen "The Wake" und "Moonbeams of Allegory": im Kunstpalais Erlangen bis zum 23.10.22.