Mitarbeiter vor Bildschirmen mit Resultaten im September 2022
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In der russischen Wahlbehörde

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"Auf dem Weg zur Diktatur": Russlands Absturz im Demokratieindex

Das britische Wirtschaftsblatt "Economist" erstellt regelmäßig eine weltweite Rangliste der politischen Systeme, was die Bürgerbeteiligung betrifft. Demnach ist Putin dank vieler Unterdrückungsmaßnahmen auf der abschüssigen Bahn zum Alleinherrscher.

So einen Absturz gibt es selten auf dem insgesamt 167 Staaten umfassenden Demokratie-Index: Laut "Economist" landet Russland im neuesten Ranking auf Platz 146, hinter Staaten wie Kasachstan (127), Aserbaidschan (134) und sogar Kuba (139). Ein Jahr zuvor rangierte Russland immerhin noch auf Platz 124, es verschlechterte sich also binnen Jahresfrist um 22 Plätze nach unten. Der Grund dafür liegt auf der Hand: "Russland verzeichnete 2022 den tiefsten Absturz unter allen Ländern. Der Einmarsch in die Ukraine war mit totaler Unterdrückung und Zensur im Inland verbunden. Russland ist für lange Zeit auf der abschüssigen Bahn weg von einer Demokratie und hat zahlreiche Kennzeichen einer Diktatur angenommen."

Zwei Drittel der Weltbevölkerung "neutral"

Dabei habe Putins Angriffskrieg nicht nur Auswirkungen auf Russland selbst, so die Analytiker: "Russlands Verhalten hat vielen die lebenswichtige Bedeutung der Verteidigungsfähigkeit der nationalen Souveränität vor Augen geführt, ohne die wahre Freiheit und Demokratie nicht erreichbar sind." Zwei Drittel der Weltbevölkerung lebten allerdings in Staaten, die gegenüber Russland entweder neutral blieben oder Putin sogar mehr oder weniger unterstützten, so der "Economist": "Dieses zögerliche Verhalten, sich hinter dem Westen einzureihen, zeugt in unterschiedlicher Ausprägung von Unzufriedenheit mit der bestehenden Weltordnung, dem Gefühl von westlicher Heuchelei angesichts zurückliegender Einmischungsversuche in die eigenen Angelegenheiten und der Abhängigkeit von russischen Rohstoffen oder anderen Ressourcen."

Der globale Süden reagiere bisweilen "zynisch" auf westliche Avancen, was es schwierig mache, von diesen Ländern Solidarität für die Ukraine zu erwarten. Viele ärmere Länder hielten den Krieg für eine Angelegenheit der westlichen Staaten untereinander. Die USA hätten zu Zeiten des Kalten Kriegs im Übrigen nicht gerade eine "weiße Weste", was Einmischung in andere Staaten angehe: Genannt werden neben Vietnam auch der Irak und Libyen, der Kosovo, Afghanistan und Somalia. Gleichwohl, so der "Economist", mache das eine Fehlverhalten das andere nicht besser.

"Moralischer Bankrott"

Russland argumentiere, der Westen verstoße gegen das Prinzip der Souveränität, was kein Grund sein könne, diesen Grundsatz selbst mit Füßen zu treten. Mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 habe Putin jedes moralische Recht verloren. Mit dem Angriff auf die Ukraine habe er sich auf die "falsche Seite der Geschichte" gestellt.

Zu den Gründen, warum Russland als Demokratie versagte, zählt der "Economist" im Einzelnen die historisch bedingte "imperiale Gesinnung" Moskaus, die Unfähigkeit, mit den Verlusten nach dem Untergang der Sowjetunion umzugehen, ehemalige Teilrepubliken als unabhängig anzuerkennen und einen Untertanengeist, den es schon seit der Zarenzeit gebe. Außerdem habe einst Staatschef Boris Jelzin dafür gesorgt, dass dem Land eine dafür völlig ungeeignete freie Marktwirtschaft übergestülpt worden sei, was zu Korruption und Organisierter Kriminalität geführt habe. Putins "Gegenrevolution" habe den "moralischen Bankrott" abgerundet.

"Putins Traum droht zu zerplatzen"

"Wladimir Putins Traum, Russlands Bedeutung als imperiale Macht wieder herzustellen, droht zu zerplatzen. Nach zehnmonatigem Kampf in der Ukraine, wurde Ende 2022 unübersehbar, dass Russland nicht nur auf den Schlachtfeldern zu verlieren droht, sondern auch im Propagandakrieg im In- und Ausland. Sein missratener Feldzug rief nicht nur die Kritik überzeugter Nationalisten hervor, auch die ganz durchschnittliche Bevölkerung empfand die vielen Todesopfer und die ungeschickte Mobilisierung, die das Kriegsgeschehen zu ihnen nach Hause brachte, beunruhigend."

Der russische Politologe Grigori Golosow verwies darauf, dass sich nach anderen internationalen Erhebungen, etwa dem World Value Index, die Einstellung der Russen bei der Abwägung von Freiheit und Gleichheit nicht sonderlich von der in Deutschland und der Ukraine unterscheide. Demgegenüber seien Briten und Amerikaner deutlich individualistischer: "Russland weicht vom Durchschnittswert nach unten ab, aber nicht signifikant." So gebe es in Russland eine Mehrheit der Bevölkerung, die das Kreml-Regime als "nicht demokratisch" einschätze, aber das gelte auch für die Einstellung der US-Bevölkerung gegenüber dem Weißen Haus.

Deutschland verbessert sich auf Platz 14

Zu den Staaten, die auf dem Demokratieindex ähnlich verheerend abschneiden wie Putins Regime, gehören das von Moskau abhängige Belarus, sowie Burkina Faso, wo ein Bürgerkrieg mit islamistischen Milizen tobt, Haiti, das sich mangels Regierungsapparat gerade "selbst auflöse", sowie das mittelamerikanische El Salvador und Mexiko. Auch Tunesien, der Irak und Jordanien schnitten allerdings weniger gut ab als in früheren Jahren.

Spitzenreiter unter den Demokratien ist Norwegen, gefolgt von Neuseeland und Island. Deutschland verbesserte sich im letzten Jahr um einen Platz auf Rang 14, hinter Luxemburg und vor Australien. Schlusslichter sind Nordkorea, Myanmar und Afghanistan.

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