Ziemlich hämisch, wie sich die "New York Times" über den Karriereknick von Starsopranistin Anna Netrebko (50) äußert. Eigentlich habe die Künstlerin ja vorgehabt, Ende April vor 4.000 Zuschauern in der Metropolitan Opera als "Turandot" aufzutreten, aber wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine und ihrer engen Verflechtung mit Putins Regime sei ihr schließlich nur übrig geblieben, als "Einspringerin" an der Oper von Monte Carlo als "Manon Lescaut" aufzutreten. Das dortige Haus habe 517 Plätze anzubieten und sei dem Spielcasino angeschlossen, die Automaten stünden bis in die Lobby des Musiktheaters.
Muss sie "Reue" beweisen?
Damit wollte der Autor des US-Blatts wohl verdeutlichen, wie schlecht es um die Karriere der Netrebko bestellt ist. Und tatsächlich sollen die Agenten der Sängerin vergeblich bei großen und finanzkräftigen amerikanischen Institutionen angefragt haben, wie es um künftig Engagements bestellt sei. Weder die Carnegie Hall, noch die San Francisco Opera und das New York Philharmonic Orchestra hätten Zusagen gemacht, und Intendant Peter Gelb von der Met reagierte auch nicht gerade versöhnlich. Ihm habe Netrebko gesagt, sie müsse auf der Seite ihres Landes bleiben. Auftritte im lukrativsten Opernhaus der Welt sind demnach nur denkbar, wenn Putin Geschichte sei oder die Sängerin "Reue" zeige, so Gelb, zum Beispiel mit einem Wohltätigkeitskonzerte zur Unterstützung der Ukraine.
"Schlaue Dame mit Gebratenem in der Nase"
Das erscheint eher ausgeschlossen, dagegen soll sich Netrebko derzeit überlegen, ob sie die Met auf 350.000 US-Dollar Schadenersatz wegen entgangener Engagements verklagt. Dass sie auch eine "Krisen-PR"-Firma angeheuert haben soll, wurde in Russland höchst ironisch kommentiert: "Die schlaue Dame, die den Geruch von Gebratenem in der Nase hatte, beschloss, groß aufzutreten, indem sie eine Krisenkommunikationsfirma hinzuzog, um ihr zu helfen. Anna verstand sehr gut, dass es einfach unmöglich war, sich im Handumdrehen vom Präsidenten und allem Russischen zu distanzieren."
Mit anderen Worten: Die bisherigen Beteuerungen der Sopranistin, sie verurteile den Angriff auf die Ukraine und distanziere sich diesbezüglich von Putin, helfen ihr in den USA bisher nicht. Auch Intendant Serge Dorny von der Bayerischen Staatsoper hatte sich ähnlich skeptisch über Netrebkos Glaubwürdigkeit geäußert und Auftritte bis auf Weiteres ausgeschlossen. Andere Häuser, wie die Scala in Mailand und die Berliner Staatsoper, hatte sich weniger abweisend geäußert. In Paris sang Netrebko Konzerte, im Juli will sie in Regensburg bei den dortigen Schlossfestspielen auftreten und danach mehrere wegen der Pandemie abgesagte Konzerte nachholen.
Hoch dotierter Vertrag in St. Petersburg
Die "New York Times" listet penibel auf, wie sehr sich Netrebko für Putin propagandistisch eingesetzt hat, wie sie ihn einen "sehr attraktiven Mann" nannte und seine "starke männliche Energie" pries. Sie unterschrieb 2012 demnach einen Wahlaufruf für Putin, der sich mit Glückwunschtelegrammen bedankte und sie als den "Stolz Russlands" bezeichnete. Ihr Geburtstagskonzert im Kreml zum 50. blieb nicht unerwähnt, und auch nicht ihre Einladung zu den Olympischen Spielen in Sotschi 2014. Dass sie am Vorabend des Angriffs auf die Ukraine reiche Russen auf Rechnung eines Luxusuhren-Herstellers bespaßte, wird ihr auch übel genommen.
In Russland wurde derweil bekannt, dass Netrebko mit dem St. Petersburger Mariinski-Theater, wo Dirigent und Putin-Kumpel Valery Gergiev das Sagen hat, Ende letzten Jahres einen Vertrag über 13 Millionen Rubel abgeschlossen haben soll (rund 220.000 Euro nach dem manipulierten aktuellen Umtauschkurs). Ein einziger Auftritt soll demnach mit rund 34.000 Euro veranschlagt worden sein.
"Wer zahlt ihr solche Gagen?"
Soviel werde Netrebko im westlichen Europa nicht mehr bekommen, mutmaßte der russische Konzertveranstalter Sergei Lawrow (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Außenminister) in einem Interview: "So viel wie in Russland, so viel, wie Rosneft und andere Konzerne ihr gezahlt haben, wer zahlt ihr solche Gagen in Europa? Nicht einer. Alle diese Theater: La Scala, die Grand Opera in Paris, nun, sie zahlen nicht das Geld, das sie in Russland verdient hat."
Es fällt auf, dass Netrebko trotz ihrer kritischen Stellungnahme zum Ukrainekrieg in Russland weiterhin vergleichsweise "gnädig" behandelt wird. Sie dürfe keinesfalls für "fünfzig Jahre" verbannt bleiben, hieß es, denn sie versuche nur, sich über Wasser zu halten. Bestraft werden müssten vielmehr diejenigen, die sie zu politischen Distanzierungen drängten. Das lässt darauf schließen, dass Netrebkos Distanzierungen in Moskau eher taktisch als ehrlich eingestuft werden. Im Westen habe ihr das "nicht geholfen", ist immer wieder zu lesen. Ansonsten berichten russische Medien gern und ausführlich über stilistische Fehltritte der Sängerin, die viele ihrer Erlebnisse mit den Fans per Instagram teilt.
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