Anastasia ist die größte neu-religiöse Bewegung in Russland – und wächst auch in Deutschland. Die Anhänger kaufen überall im Land Grundstücke, errichten sogenannte Familienlandsitze und pflegen Kontakte zu Querdenkern, Reichsbürgern und Rechtsextremen. Die Autoren des Podcats "Seelenfänger" um die Hosts Emeli Glaser und Dennis Müller haben ein Blick hinter den Öko-Kult geworfen und sind dafür vom Allgäu bis nach Brandenburg gereist.
Anastasia-Anhänger: Verehrung einer Fantasy-Figur
Im Interview mit Tilmann Kleinjung bei Theo.Logik auf Bayern 2 erzählen sie unter anderem, warum Anhänger der Bewegung eine Fantasy-Figur kultisch verehren und den russischen Präsidenten Wladimir Putin eher gut finden als ablehnen.
- Zum Podcast: Seelenfänger - Der Anastasia-Kult
Tilmann Kleinjung: Am Anfang des Anastasia-Kults geht es zunächst einmal einfach nur um ein Buch und um eine Romanfigur Anastasia. Wer oder was ist denn diese Anastasia?
Dennis Müller: Im Prinzip ist sie die Heldin einer russischen Romanreihe. Diese Romanreihe heißt "Die klingelnden Zedern Russlands" vom russischen Autor Wladimir Megre. Die Romane kamen so Mitte der Neunziger, Ende der Neunziger raus. Und dann hat sich daraus eine richtige Bewegung entwickelt, kann man sagen.
Emeli Glaser: Anastasia ist eine blonde Frau, die im Wald wohnt und mit Tieren kommuniziert. Sie ernährt sich von Nüssen und hat irgendwie Zauberkräfte. Sie kann in die Zukunft sehen, zum Beispiel, und sie ist wahnsinnig weise. So kann man sie beschreiben.
Autor Wladimir Megre ist eine Art Phantom
Kleinjung: Was weiß man vom Autor Wladimir Megre?
Müller: Das ist ein Mann, den wir uns auch sehr genau anschauen in unserem Podcast. Er ist tatsächlich eine Art Phantom, weil man nicht viel über ihn weiß, außer dass er ein Unternehmer war, bevor er diese Bücher geschrieben hat. Und deswegen ist nicht ganz klar, was er mit diesen Büchern vorhat, ob er wirklich daran glaubt oder ob das nur so eine Art Business-Strategie ist.
Kleinjung: Es gibt ja Menschen, die aus dem Leben Anastasias und den Dialogen in diesem Roman einer Art Lebensphilosophie ableiten. Wie genau muss ich mir das vorstellen?
Glaser: Es beginnt mit ganz klaren Handlungsanweisungen. Zum Beispiel steht in den Büchern, wie man leben soll: Auf einem Gehöft, das am besten einen Hektar groß ist, und dort lebt die Familie autark, baut selber Gemüse und Obst an. Und dann steht in den Büchern, wie man beispielsweise Samen aussät. Aber halt auch andere Sachen...
Anastasia-Bücher: antisemitisch, rassistisch, frauenfeindlich
Müller: Und diese anderen Sachen, die sind dann zum Teil antisemitisch, die sind rassistisch, die sind frauenfeindlich. Und das macht das Ganze so problematisch, weil es auf diese Art anschlussfähig ist an die verschiedensten Leute: an Rechte, an Esoterik-Fans, an Landwirtschaftsfreunde und so weiter. Das ist in die verschiedensten Richtungen total anschlussfähig.
Kleinjung: Das Ganze spielt in Russland, in der Taiga. Dort hat der Anastasia-Kult – wie er im Podcast genannt wird, auch die meisten Anhänger. Wie muss ich mir die Szene in Deutschland vorstellen?
Harter Kern von 800 Anhängern in Deutschland
Glaser: Das ist gar nicht so leicht zu recherchieren, weil es nirgendwo Zahlen gibt. Aber man kann sagen, auf einem Festival von Anastasia - da gibt es Versammlungen - waren mal 800 Leute, das ist so der enge Kern. Aber natürlich ist die Dunkelziffer viel größer: Wahnsinnig viele Leute haben die Bücher gelesen und kennen deren Inhalt.
Müller: Und die andere Zahl, die wir noch haben, ist natürlich die Anzahl der Höfe. Da haben wir 18 recherchiert, die nach dem Vorbild von Anastasia gebaut werden. Da gibt es natürlich auch unterschiedlichste Abwandlungen und unterschiedliche Ausgaben. Aber es gibt nach unserem aktuellen Stand 18 Höfe in Deutschland.
Kleinjung: Gibt es denn eine Struktur in dieser Bewegung? Also gibt es einen Chef?
Müller: Überhaupt nicht. Es gibt keine Anführer. Es gibt natürlich den Autor der Bücher, also Wladimir Megre, der schon so eine Art Vorbild ist - oder Philosoph oder Prophet für diese Bewegung. Aber es gibt bestimmt auch Mitglieder, die den gar nicht kennen. Und das macht es auch so schwer, das irgendwie zu kategorisieren. Also was ist es jetzt: Ist es eine Bewegung? Ist es ein Kult? Ist es eine Sekte vielleicht sogar? Das macht es so schwer, weil es eben nicht diesen geschlossenen Kreis gibt.
Wir haben uns letztendlich für das Wort Kult entschieden, weil es eben diesen ideologischen Unterbau gibt. Da wird schon eine Person in dem Sinne, Anastasia, kultisch verehrt. Das kann man schon so sagen, und deswegen kann man vielleicht nicht von einer Sekte sprechen, weil es auch Aussteigern nicht so schwer gemacht wird, da rauszukommen. Es gibt nicht so eine Verbindlichkeit wie in anderen Sekten, auch nicht so eine finanzielle Abhängigkeit, sondern es gibt eine lose Verbindung. Aber genau das macht es ja auch so gefährlich, dass es wirklich so anschlussfähig in die verschiedensten Felder ist.
Braune Esoterik, die dem Weltbild Putins nahe kommt
Kleinjung: Ein anderes Stichwort ist braune Esoterik. Weil es hat ja schon was von Blut und Boden und Landnahme, dieses Ganze rund um Anastasia. Gibt es denn da irgendwie eine politische Querverbindung zu Putin, zu russischem Nationalismus, die Ihr da feststellen konntet?
Müller: Das war auch eine Frage, die uns sehr beschäftigt hat. Man denkt, da ist eine totale Nähe da. Das ist aber nicht so einfach zu beweisen, weil eben diese Bewegung so vielschichtig ist und so viele Menschen daran beteiligt sind, die einen ganz anderen Hintergrund haben. Aber man kann auf jeden Fall Bezüge zwischen Wladimir Megre und Putin herstellen. Man kann auch ideologisch sagen, dass Putin und Megre sich ganz schön ähnlich sind, so vom Weltbild her. Da wird auch auf slawische Mythen verwiesen bei beiden Personen. Und auch in der Bewegung kann man auf jeden Fall von einem Publikum sprechen, das Putin schon eher gut findet.
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