Zwei Umweltaktivisten kleben sich an der "Sixtinischen Madonna" fest.
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Zwei Umweltaktivisten kleben sich an der "Sixtinischen Madonna" fest.

    An Gemälde kleben, fürs Überleben? Klimaaktivisten ernten Kritik

    Bisher klebten sich Klimaaktivisten in Großbritannien, Italien und Frankreich an weltberühmte Gemälde. In dieser Woche legten Mitglieder der "Letzten Generation" nun auch in Dresden und Frankfurt Hand an Kunstwerke. Ihre Aktionen ernten Kritik.

    Man wird den Aktionen der Klimaaktivisten an Raffaels "Sixtinischer Madonna" in der Dresdner Gemäldegalerie und an Nicolas Poussins "Gewitterlandschaft mit Pyramus und Thisbe" im Frankfurter Städel-Museum eine neue Form des Framings nicht absprechen können. Sie rahmen die Debatte um den Klimaschutz, indem sie sich an Gemälderahmen von Marienbildnissen und anderer Meisterwerke kleben. So wollen sie auf die Notwendigkeit hinweisen, den "fossilen Wahnsinn" zu stoppen.

    Raúl Semmler, 38, Mitglied der "Letzten Generation", der mit einer der Aktivistin Penelope Frank (31) zusammen gestern Hand an Poussins Gemälde legte, schrieb dazu auf Twitter, er sei aufgewachsen inmitten der Gemälde seiner Mutter: "Den Geruch der Farbe, Skizzen, den Entstehungsprozess von künstlerischen Werken – all das habe ich schon von klein auf eingesogen."

    Leider aber mache der Klimakollaps "auch vor der Kultur nicht halt und leider müssen wir auch hier stören ... Künstler:innen haben in ihrem Schaffensdrang immer wieder viel riskiert – für eine höhere Idee. So wie politische Aktivist:innen. Peter Kalmus von der Nasa sagt, wir müssen im Aktivismus etwas riskieren, um Menschen wirklich zu erreichen." Heutige Aktivisten und "vergangene Künstler" glichen sich womöglich sogar in diesem Punkt: "Ich weiß vor allem, dass Poussin sicher stolz darauf wäre, wenn er wüsste, dass sein Werk auch heute noch dazu dient, auf wirklich wichtige Probleme der Menschheit hinzuweisen."

    "Eindeutig der falsche Weg"

    Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, hält diese Art der Aufmerksamkeitserzeugung für klimapolitische Anliegen für nicht zielführend. Er äußerte zwar Verständnis für die in Videos auf Instagram und anderswo sich mitteilende "Verzweiflung der Klimaaktivisten", sagte aber heute nach den jüngsten Aktionen in Dresden und Frankfurt, sich an Gemälderahmen zu kleben sei "eindeutig der falsche Weg". Einige der bislang betroffenen Objekte seien Teil des Weltkulturerbes und gehörten daher "ebenso geschützt wie unser Klima". Auch die

    Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Marion Ackermann, kritisierte den Angriff von Klimaaktivisten auf die "Sixtinische Madonna" im Grünen Gewölbe. Bei allem Verständnis für die Beweggründe der Umweltbewegung lehne sie eine Attacke auf ein Kunstwerk – auch in seiner symbolischen Form – grundsätzlich ab: "Das kann ja auch Nachahmungstäter anlocken, die das nächste Mal wirklich das Bild angreifen und zerstören. Das finde ich nicht in Ordnung", sagte Ackermann gestern im MDR.

    Stefan Trinks, der Kunstkritiker der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", spottet heute im Feuilleton unter der Überschrift "Eine kleben" über die "Dresdner Apokalyptivisten" und schließt ironisch mit den Worten: "Man ertappt sich bei wilden Fantasien: Der Künstler Daniel Spoerri, seit Jahrzehnten in den Museen der Welt vertreten mit seinen an die Wand gebrachten, festgeklebten Abendmahlen, möge zusätzlich zu Tisch und Geschirr ein Aktivistenpärchen fixieren und ihnen so die ersehnte museale Verewigung schenken."

    "Ein starkes Symbol"

    Am Dienstag hatten sich zwei Aktivisten der Gruppe "Letzte Generation" an den Rahmen des Raffael-Gemäldes "Sixtinische Madonna" geklebt. Das Kunstwerk selbst wurde nicht beschädigt. Das Bild des Renaissance-Malers Raffael (1483–1520) ist eines der berühmtesten Gemälde der Dresdner Galerie Alte Meister im Zwinger. Die Aktivisten hatten sich bewusst dieses Bild ausgesucht, da es "ein starkes Symbol" sei. "Maria und Jesus blicken mit Furcht in die Zukunft. Sie sehen dem Kreuztod Christi mit Schrecken entgegen. Ein genauso vorhersehbarer Tod wird auch das Resultat des Klimakollaps sein", ließ sich die 21-jährige Aktivistin Maike Grunst vernehmen, die sich zusammen mit dem 28-jährigen Jakob Beyer an Raffaels Gemälde geklebt hatte.

    Aufmerksamkeitsökomisch erweisen sich die Aktivisten einmal mehr als Vollprofis: Agentur-Fotografen waren offenbar vorinformiert und zugegen, als sie die Absperrung überwanden und dadurch den Alarm auslösten. Die Museumsdirektorin Marion Ackermann betonte, dass seit dem 2. August für die "Sixtinische Madonna" bereits strengere Sicherheitsvorkehrungen gelten. So werde das Werk von einem Mitarbeitenden des Sicherheitsdienstes eigens bewacht. Außerdem sei das Mitführen jeglicher Taschen und Rucksäcke untersagt, um keine Transparente oder Spraydosen einzuschmuggeln.

    In jüngster Zeit hatte es mehrere Attacken von Klimaaktivisten auf Gemälde in Museen gegeben, darunter in Paris auf die "Mona Lisa" und in London auf ein Van-Gogh-Gemälde. Auch in Padua, Florenz und Mailand hatte es in den vergangenen Tagen Aktionen der "Ultima Generazione" gegeben. "Es bleibt ein Restrisiko, mit dem wir leben müssen", so Ackermann. Die Gesellschaft sei gerade aufgeheizt und aufgeregt. "Wir können uns einfach nicht hundertprozentig davor schützen. Das ist die traurige Bilanz." Autofahrern, die durch Sitzblockaden der "Letzten Generation" in diesen Monaten am Weiterfahren gehindert werden, wird diese Form der Intervention in den Museumsbesucherverkehr lieber sein als der Protest auf dem Asphalt. Ob auf der Straße oder im Museum: Der Verbrauch von Sekundenklebern steigt – und die Bilder des Protests bleiben haften.

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