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Allen Frances

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Amerika auf der Couch: Ein Therapieversuch von Allen Frances

Seit Donald Trump Präsident der USA ist, spekuliert Amerika über seinen Geisteszustand. Der renommierte Psychiater und Autor Allen Frances sagt: Nicht Trump ist verrückt, sondern die Gesellschaft, die ihn ins Weiße Haus gewählt hat. Stephanie Metzger

Über dieses Thema berichtet: Kulturjournal am .

Allen Frances ist emeritierter Professor für Psychiatrie und Verhaltensforschung und lehrte an der Duke University. Er ist einer der profiliertesten Psychiater weltweit. Als Co-Autor war er an der Entwicklung der psychiatrischen Standardwerke „DSM 3“ und „DSM 4“ maßgeblich beteiligt, aber er schreibt auch immer wieder für Tageszeitungen wie The Los Angeles Times, The New York Times, The Huffington Post . In seinem Buch „Amerika auf der Couch“ analysiert er das Trump-Zeitalter und formuliert den dringlichen politischen Appell, wieder zur Vernunft zu kommen. Denn Trump ist nach Frances nicht die Krankheit sondern das Symptom. Stephanie Metzger hat mit Frances über seine Diagnose und die US-amerikanische Gesellschaft gesprochen.

Stephanie Metzger: Herr Frances, Sie haben das Buch „Amerika auf der Couch“ über den Zustand der amerikanischen Gesellschaft bereits vor der Wahl von Donald Trump zum US Präsidenten begonnen. Was war damals Ihre Motivation?

Allen Frances: Ich habe mit dem Buch begonnen, weil ich mir wirklich darüber Sorgen machte, dass die amerikanische Gesellschaft die dringlichsten Probleme unserer Zeit ignoriert: Überbevölkerung, Ressourcenverknappung und Umweltzerstörung. Das war vor ungefähr drei Jahren. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, dass diese Probleme sich in so kurzer Zeit verschärfen würden, weil ein Dummkopf wie Donald Trump Präsident wird. Alles Schlechte der amerikanischen Gesellschaft hat sich kristallisiert in der Wahl von Trump zum Präsidenten. Aber Trump ist nicht die Krankheit, Trump ist das Symptom. Nicht Trump ist verrückt, sondern wir, weil wir ihn gewählt haben und zulassen, dass er unser Land und die Welt in eine so furchtbare Richtung treibt. Trump ist wie ein Spiegel der amerikanischen Seele und es ist ein sehr hässliches Bild, das uns da entgegen blickt. Es ist nicht Trumps Gesicht, sondern das sind wir. Ich sah das Buch gewissermaßen als eine Möglichkeit, den Geisteszustand unserer Gesellschaft zu überprüfen.

Wie lautet Ihre Diagnose?

Die amerikanische Gesellschaft macht sich etwas vor mit ihrem überzogenen Zukunftsoptimismus und dieser Tatenlosigkeit angesichts dessen, was getan werden müsste, damit unsere Kinder und Enkel eine lebenswerte Welt erben. Als Psychiater fühle mich dafür verantwortlich, mit meinem Wissen und mit den Methoden, die ich entwickelt habe, den Menschen begreifbar zu machen, dass wir nicht so blind weitermachen und die Realität ignorieren können. Zudem stört es mich, dass so viele anfangen, Trump zum psychisch Kranken zu erklären und damit ihm und seinem Geisteszustand alle Probleme zuzuschreiben. Erstens ist das eine Beleidigung für alle psychisch Kranken, von denen die meisten wohlgesinnt, wohlerzogen und anständig sind. Trump ist nichts davon, er ist ein schlechter Mensch. Und zweitens stellt er eine politische Gefahr dar, der man mit psychologischen Beschimpfungen nicht bei kommt. Niemand sollte Trump unterschätzen, also die Fähigkeit, den Kumpel zu spielen, sein Showtalent, seine Fähigkeit zu lügen, die Dinge zu verdrehen und zu überzeugen, obwohl er offensichtlich die Unwahrheit sagt. Dennoch glaube ich, dass es ist wichtig ist, sich nicht auf Trump zu konzentrieren, sondern auf das System dahinter, die dahinter liegenden Kräfte, die es ermöglichten, dass jemand wie Trump die mächtigste Person auf der Welt wird.

Was ist das für ein System und wieso kann es funktionieren?

Bis in die 1970er war Amerika ein Paradies für Arbeitnehmer. Die Löhne stiegen schneller als irgendwo sonst auf der Welt. Die politische Freiheit zog enorm viele Menschen an, übrigens auch besonders viele Deutsche. Dann, im Zuge von Globalisierung und Digitalisierung sind die Durchschnittslöhne gefallen. Es ging bergab, vor allem in ländlichen Regionen, mit weniger Bildungsniveau. Kleinere Städte starben aus, weil sie keine Ärzte, Lehrer, Krankenhäuser oder Schulen mehr halten konnten. Geschäfte mussten schließen. Und zugleich wanderte das Vermögen ab zu den sowieso schon Wohlhabenden. Die soziale Gerechtigkeit brach zusammen und es kam zu enormer Chancenungleichheit. Und dann kam noch die unermüdliche Propaganda der Reichen hinzu, die das amerikanische Radio zu kontrollieren begannen und darüber ihre rechten Fake News verbreiteten, was sie jetzt seit 40 Jahren tun. Als Rupert Murdoch Fox Network übernahm, wandelte er es um zu einem Medium für Propaganda, psychologische Manipulation, Lügen. Er unterstützte die Republikaner, egal wie radikal oder extrem deren Position war. Und nicht zuletzt wurden die Sozialen Netzwerke zu einem herben Rückschlag für die Demokratie. Weil sie Tribalismus, eine Art neues Stammesdenken befördern und die Leute füttern mit manipulierenden Lügen der Reichen. Lügen, mit denen sie Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Waffenfetischismus schüren. Indem sie sagen: Kümmere dich nicht um deine ökonomische Situation, sondern schau auf andere Probleme. Sei nicht wütend auf die Milliardäre, sondern auf die Migranten. Vertraue keinem Schwarzen, unterstütze sie nicht, das geht auf deine Kosten. Frauen sind gefährlich, sperre sie ein. Vertraue nicht einer Hillary Clinton, vertrau mir! Im Wahlkampf ging es darum, die Leute davon zu überzeugen, nicht für die eigenen Interessen zu wählen, sondern für einen Milliardär wie Trump.

Was Sie da beschreiben, sind teilweise ja nicht nur Probleme der USA.

In vielen Ländern der Welt gewinnen rechte Parteien und Anführer an Einfluss. Angesichts des enormen Bevölkerungswachstums auf der Welt und der Digitalisierung, die Arbeitsplätze schluckt, sind Zukunftsängste normal. Und solche Ängste münden in Tribalismus: Ich, meine Familie, mein Land gegen alle anderen. Das ist eine ganz natürliche Reaktion. Aber das Problem ist: der Stamm ist heute die ganze Menschheit. Unser Planet ist so klein, da kann es nicht funktionieren, dass ein Land mehr hat und überlebt, während andere Länder nichts haben. Schon vor 218 Jahren hat der britische Ökonom Robert Thomas Malthus vorhergesagt, dass die Bevölkerung exponentiell wachsen, ja explodieren wird, während die Nahrungsmittelproduktion nur linear zunimmt. Und dass Krieg, Bürgerkrieg, Migration, Hungersnöte und Krankheiten Korrektive sein würden. Und genau das sehen wir heute.

Welche psychische Disposition macht eine Gesellschaft für die Propagandamaschinerie so anfällig?

Das emotionale, limbische System des Gehirns ist viel stärker als unser rationales Gehirn, der Kortex. Der Naturwissenschaftler Darwin war wohl der bedeutendste Psychologe, indem er darauf hinwies, dass das Verhalten des Menschen weit mehr von seinen tierischen Vorfahren geprägt ist als von den Unterschieden zu ihnen. Die Verknüpfungen zwischen dem limbischen System und dem Kortext sind sehr umfangreich, das emotionale Gehirn kontrolliert das rationale. Die Vernetzungen in die andere Richtung sind viel geringer. Der Mensch neigt also dazu, Botschaften zuzustimmen, die emotional und erzählerisch ansprechend sind, auch wenn sie nicht stimmen oder gegen die eigenen Interessen sprechen. Heute, in Zeiten des Internets können sich solche Botschaften sekundenschnell über die ganze Welt verbreiten. Studien zeigen, dass Lügen mehr likes bekommen, öfter und schneller verbreitet werden als die Wahrheit. Es fällt dem Menschen also eher schwer, rational zu sein.

Trotzdem oder gerade deshalb plädieren Sie für ein neuen Rationalität und Aufklärung?

Meine große Hoffnung ist Deutschland. 1945 war Deutschland zu Recht das am meisten gehasste Land der Welt. Die USA zu Recht das geliebteste. Wir haben die Plätze getauscht, heute wird Deutschland bewundert. Ich glaube, dass Deutschland das rationalste Land der Welt ist, das durch eine Tragödie gegangen ist. Und jetzt sind dort 12 Prozent der Wähler bereit, eine solche Tragödie zu wiederholen. Und die Gegner dieser Prozent sind gespalten durch das, was Freud „Narzissmus der kleinen Differenzen“ genannt hat, sie ringen um eine Regierungsbildung, ganz zu schweigen von einer gemeinsamen Botschaft. Jede Diktatur, jeder Diktator war von einer Minderheit getragen: Hitler, Mussolini, Franco, Pinochet. Und sie kamen an die Macht, weil die Parteien der Linken und der Mitte miteinander stritten und die Gefahr von rechts übersahen. Ich denke, Deutschland hat eine Verantwortung sich selbst gegenüber, nicht die 1930er zu wiederholen. Ich möchte sogar weiter gehen und Deutschland die Verantwortung auferlegen, der ganzen Welt wieder zur Rationalität zu verhelfen.

"Amerika auf der Couch" von Allen Frances ist bei Dumont erschienen.