Der neue Ort, in dem Teenager Kaija sich findet, ist nur negativ gezeichnet: weg von da, dem "Zuhause", den alten Freunden. Mit all diesem Fehlenden fängt das Buch von Tamara Bach an: Wie blöd ist das alles, findet Kaija.
Der erste Tag an der neuen Schule, in einer kleinen Stadt auf dem Land, weit weg vom bisherigen Leben. Kaija kennt niemanden hier. Und will auch gar niemanden kennenlernen. Viel lieber will sie sich in Luft auflösen. Ständig schaut sie auf ihr Handy. Gibt es Chat-Nachrichten von den Freunden aus der alten Welt? Nix. Tamara Bachs Roman "Von da weg" erzählt (erst einmal) von einem sehr einsamen jungen Menschen.
Abgetaucht in die Einsamkeit
Einsamkeit, das sei ein trauriges Gefühl, das man aushalten müsse, sagt die Jugendbuchautorin im BR-Interview. Ein Gefühl aber, in dem man sich vielleicht auch näher komme und auch über sich selbst viel herausfinde. Und in der Tat wird Kaija – in dieser "fucking Einsamkeit" – einiges herausfinden. Aber erst einmal muss sie da durch, durch den ersten Tag, die erste Woche. In der Chatgruppe ihrer angeblichen Freunde aus der Vergangenheit herrscht Funkstille. Kaija, so scheint es, ist auch da eine Einsame und Ausgestoßene. Irgendwas Dummes muss ihr zugestoßen sein.
Tamara Bach gibt ein paar Andeutungen, lässt ansonsten vieles in der Schwebe. Und zieht die, die Kaijas Geschichte folgen, in ihren Bann, mit einer prägnanten Prosa, mit präzisen und bewundernswert knappen wie klaren Sätzen, oft voller Melancholie. Ein ganz eigener Rhythmus entsteht – und mit ihm ein besonderer Sound.
Das Alltägliche wird in Bachs Romanen zum Ereignis
"Ich war noch nie neu, denkt Kaija. Ich war noch nie allein", heißt es in "Weg von hier". "Sie will hier sitzen und wieder Pause haben und nachdenken, bis das Nachdenken aufhört oder wenigstens leiser wird, bis sie andere Sätze denken kann. Kaija steht auf und geht los. Hinter den Fahrradständern ist ein kleines Schultor. Ein Schultörchen, das nur angelehnt ist, und als sie es aufdrückt, quietscht es ganz leise." Man könnte denken: Hier geht es nur um eine beliebige Jugend in Deutschland, um nichts Außergewöhnliches.
Im Fall der Romane von Tamara Bach wird das – das Alltägliche und Gewöhnliche – aber immer wieder zum Ereignis, gerade auch aufgrund der Sprache. Die Themen, von denen sie erzählt, kämen mit den Figuren, berichtet die Schriftstellerin. Sie fängt an zu schreiben und geht gleichermaßen auf die Suche, durchquert also, Kaija folgend, auch das eine oder andere Tor.
Aufbruch, Rückkehr, Facetten des Nach-Hause-Kommens
"Erst vor einem Jahr tatsächlich hat sich herauskristallisiert, was ich an den Figuren spannend finde. Dass es zum Bespiel auch nicht nur um Kaija geht, sondern um mehrere Figuren in diesem Roman", sagt Tamara Bach.
Sie habe gewusst, dass es um Zuhause-Sein gehe – nicht nur um Kaijas ein- Zuhause-finden, sondern auch um das Zurückkehren: Zu Kaijas Geschichte kommt die der Mutter Ruth, Lehrerin, und die der Großtante Josepha. Beide stammen aus der Kleinstadt, in der sich Kaija nun ein- und zurechtfinden muss. Beide sind, zu unterschiedlichen Zeiten und aus unterschiedlichen Gründen aus der Kleinstadt aufgebrochen, getrieben von der Sehnsucht nach einem anderen Leben, vom Hunger auf die Welt. Damit schließt sich ein Kreis. Mit der Rückkehr der beiden, von der man nicht sagen kann, ob sie eine Heimkehr ist, kommt vieles wieder in den Sinn. Der Blick zurück, das Lebensgefühl von damals, die Wünsche, die Hoffnungen, die Enttäuschungen und Verletzungen.
"Ruth ist natürlich mir vom Alter her ähnlicher", sagt Bach über die Figur von Kaijas Mutter. "Über die 90er-Jahre zu schreiben, fällt mir sehr leicht. Ich folge da schon einem Lustprinzip beim Schreiben. Ich gucke, was für mich interessant ist, worauf ich wirklich Lust habe, beim Schreiben, über welche Figuren ich mehr lernen möchte – und dann mache ich das einfach.
Die Geschichte der Tante
Im Zuge der Geschichte ist zum Beispiel Josepha plötzlich nicht mehr die irgendwie seltsame Tante, sondern das Mädchen, das lieber Hosen und die Haare kurz trägt, und sich verliebt in eine Freundin. Es wird ihr zu eng in dieser beschaulichen, wohlgeordneten, braven Welt. Josepha sehnt sich nach einer größeren Freiheit. Die Geschichten des Aufbruchs – in drei unterschiedlichen Epochen – verbindet Tamara Bach auf spannende Weise. Kaija, ihre Eltern und die Großtante besuchen am Ende der ersten Woche nach dem Umzug ein Fest auf dem Markt, mit Bierzelt und Musik. Unmerklich springt die Erzählerin von dort zurück, jeweils in eine andere Jugend. "Es war kein stilistischer Kniff, den ich mir vorher ausgedacht habe", versichert Bach. "Das ist tatsächlich einfach beim Schreiben passiert, dass ich Feste vor dem inneren Auge hatte und sie dann beschrieben habe".
Willkommen und Abschied, Abschied und Willkommen: Tamara Bachs Roman "Von da weg" ist eine behutsame und ebenso intensive Meditation über den Wunsch junger Menschen unterschiedlicher Generationen, aufzubrechen, in eine andere Welt, in ein anderes Leben. Und zugleich zu merken, dass man die Herkunft nicht abstreifen kann, sondern stets mit sich trägt. Gleichzeitig zeigt der Roman: Der Einsamkeit, mit der Kaija so lange konfrontiert ist, lässt sich (irgendwann) auch die Möglichkeit von Glück entgegensetzen.
Tamara Bachs Roman "Von da weg" ist im Carlsen-Verlag erschienen.
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