Da stehen sie, mitten in einer Landschaft, die paradiesisch erscheint: die beiden riesigen Kühltürme des Kernkraftwerks Gundremmingen. Geht man den nahen Wanderweg an der Donau entlang, spitzen sie immer wieder durch die im Frühling noch lichten Wälder. Obszön kann man es nennen, dass ausgerechnet in manchen der schönsten Flusslandschaften Deutschlands diese Kolosse des Atomzeitalters aufragen. Klar – aus guten Gründen: Aus Sicherheitsbedenken sollten sie nicht zu nahe an den großen Metropolen stehen, außerdem eben an fließenden Gewässern, um die Kühlkreisläufe füllen zu können.
- Zum Artikel: Wie die Atomkraft nach Gundremmingen kam
Wahrzeichen einer Epoche
Der letzte Block von Gundremmingen wurde bereits am 31. Dezember 2021 abgeschaltet. Mit dem kriegerischen Überfall auf die Ukraine durch Russland im Februar 2022 und der damit verbundenen Energiekrise stellte sich noch einmal die Frage der Wiederinbetriebnahme. Die ist inzwischen vom Tisch. Der Betreiber, die RWE Power AG, bereitet den Rückbau vor.
Stefan Rettich, Architekt und Professor für Städtebau an der Universität Kassel, hält das nicht für den richtigen Weg. Er findet, diese Wahrzeichen und baulichen Zeugen einer jahrzehntelangen erbitterten gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung über Energie, Wirtschaft und die Abschätzung von Technikfolgen sollten stehen bleiben.
Lichter Wald, mächtige Architektur
Was soll mit AKW-Geländen passieren?
Rettich fordert den Erhalt der imposanten Bauwerke. In Gundremmingen stünden die größten Kühltürme Deutschlands, sagt er: "Da würde die Westseite des Kölner Doms reinpassen, so gigantisch sind die. Und wenn man mal in so einem Kühlturm steht – das sind Räume, die eine unglaubliche Qualität und auch Ruhe ausstrahlen." Warum also etwas abreißen beziehungsweise rückbauen, was auch noch anders genutzt werden könnte?
Zusammen mit seinen Studentinnen und Studenten in Kassel hat Stefan Rettich fast alle Kommunen mit Kernkraftwerken in Deutschland kontaktiert und erörtert in dem von ihm herausgegeben Buch "Nach der Kernkraft" gemeinsam mit anderen, wie es mit den Flächen weitergeht, auf denen einmal Atomkraftwerke standen oder eben meist noch stehen. Eine Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile von Stilllegungsstrategien.
Nutzen, was es schon gibt
Der Professor für Städtebau zeigt exemplarisch Strategien auf, wie sich Kernkraftwerke nachnutzen ließen: als Museen, als Zentren für Kunst und Handwerk, als Industrieparks, als Friedenscampus. Der Rückbau und damit die große Verschwendung grauer Energien könnte verhindert werden, so der Experte für Städtebau und Architektur: "Ich vergleiche die Kernkraftwerke immer mit anderen Kraftwerken, die wir ja schon umgenutzt haben – denken wir an die Tate Modern in Großbritannien. Das war ein Wärmekraftwerk." Nutzungen wie diese gingen auch in solche Räume, weil die eine unglaubliche Kraft und Stärke ausstrahlten, sagt Rettich. "Und ich glaube, das ist im öffentlichen Bewusstsein überhaupt noch nicht präsent, diese Vergleiche wurden noch nicht gezogen."
Charakteristische, landschaftsprägende Bauformen
Für den bayerischen Kernkraft-Standort Gundremmingen an der Donau entfaltet sich die Vision eines zukünftigen Zentrums für Kunst und Handwerk samt grünen Freiflächen und gigantischen Ausstellungsräumen für Großinstallationen. Bisher ist der Abriss der Kolosse beschlossen, obwohl nur zwei Prozent der Bausubstanz radioaktiv kontaminiert sind. Stefan Rettich sagt, es sei noch nichts unternommen worden in Sachen Um- oder Nachnutzung der deutschen Kernkraftwerke. Und die seien nur ein Beispiel unter vielen. Klar ist: Wir haben verlernt, das, was wir besitzen, sinnvoll zu nutzen. Eben auch weiter zu nutzen. Und das auch noch klimaneutral.
Jeden ersten Samstag im Monat gibt es in BR24 das "Haus des Monats" – unterstützt durch die Bayerische Architektenkammer.
Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!