"Das Öl auf dem Kunstwerk ist mittlerweile weggewischt, aber das Öl im Feuer der Empörung, das sprudelt munter nach", twitterte gestern der Publizist und Bremer Soziologe Nils Kumkar. Er untersucht seit geraumer Zeit die Resonanz der "Letzten Generation" in den Massenmedien und kommt zu interessanten Schlüssen. Seine Prämisse: Die letzte Generation gehe davon aus, dass die Mehrheit der Bevölkerung ohnehin für stärkere Klimaschutzmaßnahmen sei. "Sie wählen Aktionen, die massenmediale Resonanz erzeugen. Über die Art der Resonanz können sie aber nicht verfügen. Und das trifft auf eine Politik, die gerade augenscheinlich nicht wirklich über Klimaschutzpolitik reden will".
"Letzte Generation" hat starke Symbole gewählt
Solange die Grünen in der Opposition waren, konnten sie sich stark mit den Zielen von Fridays for Futur und anderen Klimaschutz-Bewegungen solidarisieren. Jetzt aber könnten sie - so Kumkar – "nur schlecht oder ungern sagen, wir möchten mehr machen. Weil das würde ja das eigene Versagen thematisieren".
Nicht allein beim Beschmieren des Grundgesetz-Kunstwerks, sondern auch sonst arbeitet der Protest der "Letzten Generation" stark mit Symbolen. Viele Menschen lassen sich auf diese Symbolebene nicht ein oder kritisieren das als ineffektiv zum Erreichen der praktischen Ziele. Doch stimmt das?
Die "Letzte Generation", die als relativ kleine soziale Bewegung wenig Menschen direkt mobilisieren könne, habe aber durchaus die Hoffnung, dass durch ihre Aktionen mehr passiere: "Man muss halt Empörung generieren. Ich glaube, das passiert denen nicht aus Versehen", so Kumkar.
Wird die "Letzte Generation" immer radikaler?
Die Taliban-Vorwürfe und das Weitermachen trotz der Haftstrafen suggerieren, dass die Lage eskaliert. Aber Anzeichen für eine Radikalisierung der Klima-Bewegung sieht Nils Kumkar nicht: "Es ist nicht radikaler, sich an die Straße zu kleben, als Kartoffelbrei auf Monet zu werfen. Und es ist auch nicht unbedingt radikaler, Farbe auf Plexiglasstelen zu kippen, als sich an der Straße festzukleben. Das sind alles Aktionsformen mit sehr vergleichbarem Eskalationsniveau".
Doch die Art und Weise, wie Politik und Medien auf die Proteste reagieren werde „immer radikaler: Was wir beobachten, ist, dass die Politik auf diese Aktion reagiert, indem sie vor allem über die Aktionsform redet und dass die Medien dieses Gerede aufgreifen und Nachrichtenwert generieren, indem sie das mit der Vermutung unterlegen, da würde jetzt eine Radikalisierung vorliegen. Also die Vorwürfe, die der Bewegung gemacht werden, die radikalisieren sich."
Der Soziologe und Publizist Nils Kumkar
Werden die Städte von Klimaaktivisten erpresst?
Drei Städte, Hannover, Tübingen und zuletzt Marburg, haben sich mit den Klimaaktivistinnen und -aktivisten darauf geeinigt, dass sie offiziell die Ziele der "Letzten Generation" unterstützen. Im Gegenzug versprechen die Aktivistinnen, den Straßenverkehr nicht mehr zu stören. Viele sprechen von "Erpressung". Zu Recht?
Ein heikles Thema, das auch Kumkar nicht abschließend wagt zu beurteilen. Die Berichterstattung habe "so ein Geschmäckle". Aber soweit er es in Hannover verfolgt habe, handele es sich eher um "eine Art Zweckbündnis" zwischen Klimaschützern und Kommunalregierung, weil stärkere Kimaschutzziele auch zu deren politischer Agenda passten.
"Ganz normaler ziviler Ungehorsam"
Insgesamt betrachtet Kumkar die Form der Proteste der "Letzten Generation" als "ganz normalen zivilen Ungehorsam. Das hat in einer parlamentarischen Demokratie die Funktion, darauf zu reagieren, wenn bestimmte Themen politisch nicht bearbeitet werden, obwohl es in der Gesellschaft das Bedürfnis danach gibt, dass sie bearbeitet werden. Dann sorgen Proteste dafür, dass diese Themen in der Kommunikation gesetzt werden. Und dann muss die Politik sich dazu verhalten. Das ist ein völlig normaler Vorgang."
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