Vater und Tochter auf einem Sofa, er ist eingenickt, sie schaut traurig in die Ferne
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Szene aus "Aftersun" mit Paul Mescal und Frankie Corio

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"Aftersun": Starke Erinnerungen einer Tochter an den Vater

Ein Vater und seine elfjährige Tochter: Sie auf dem Sprung ins pralle Leben, er im Kampf ums Überleben. Mit "Aftersun" ist der schottischen Regisseurin Charlotte Wells ein ergreifendes und vielfach ausgezeichnetes Debüt gelungen.

Zwei Wochen Strandurlaub in einem Club, irgendwo in der Türkei. Sophie und ihr Vater, nur sie und er, die Sonne und das Meer. Die Eltern leben getrennt, soviel ist schnell klar, trotzdem haben Vater und Tochter eine enge, liebevolle Beziehung, sie scherzen miteinander, machen sich über Dritte lustig, er streicht ihr übers Gesicht bis sie einschläft, vor allem erzählen sie sich viel.

Nah, und doch getrennt

Und doch gibt es da gleich am Anfang ein Bild, das sinnbildlich für den ganzen Film steht: Sophie liegt friedlich schlafend im Hotelbett, er raucht auf dem Balkon noch eine Zigarette und macht ein paar seiner "super langsamen Ninja-Bewegungen", wie Sophie die spontanen Tai Chi-Einlagen ihres Vaters einmal nennt. Zwischen den beiden ist die gläserne Schiebetür. Sie sind sich nah, könnten sich sehen und hören, aber es ist eben doch diese Scheibe zwischen ihnen.

Und so leben die beiden bei aller Nähe doch zwei völlig verschiedene Leben: Sophie steht mit ihren elf Jahren kurz vor der Pubertät, schaut den älteren Teenagern interessiert beim Knutschen zu, erlebt den ersten Kuss. Sie entdeckt gerade das Leben. Ihr Vater aber kämpft ums Überleben. Selbst beim Small-Talk mit dem Tauchlehrer klingt das durch. Ehrlich gesagt habe er sich früher nicht vorstellen können, 40 zu sein, "dass ich es überhaupt bis 30 geschafft habe...", sagt er dem Tauchlehrer, der ihm grade erzählt hat, dass er Vater wird.

Gegen welche Dämonen Sophies Vater genau kämpft, lässt der Film erfreulich offen, Depressionen klingen an, eine Todessehnsucht lässt ihn die Gefahr suchen, etwa wenn er auf dem Balkongeländer balanciert, wenn er nachts im Meer badet, wenn er tauchen geht ohne Tauchschein. Hin und wieder blitzt auch seine Vergangenheit auf.

Die Tochter aber will er beschützen, vor dem Rauchen, vor Sonnenbrand, vor Alkohol und bösen Buben, er ist ein durch und durch verantwortungsvoller Vater, der alles für die Sicherheit und Gesundheit seiner Tochter tut.

Starke Bildsprache

Doch wie jemanden auf dem Weg in ein glückliches, selbstbestimmtes Leben begleiten, wenn es einem selbst nicht gelingt? Für diese Ambivalenzen findet Regisseurin Charlotte Wells starke Bilder. Einmal sieht man den jungen Vater im Hinterzimmer eines Teppichhändlers, wie er einen viel zu teuren Teppich kauft und sich auf ihn legt. Aber es ist kein fliegender Teppich. Und auch die Paraglider, die die beiden immer wieder am Himmel beobachten, wie sie so lustig über den Himmel tanzen wie die Schirmchen einer Pusteblume: Vollführen sie nicht auch einen Tanz, der letztlich immer abwärts geht?

"Aftersun" ist ein bemerkenswerter Film, vor allem auch in seinen erzählerischen Mitteln: Selten war ein Film, in dem es nicht um Sex geht, so körperlich. Da wird eingecremt, in Schlamm gebadet, geküsst, gestreichelt, angestupst, getanzt. Und dann die Filmerei: Immer wieder drehen die beiden kurze Videos von sich, sie halten den Moment fest, kreieren Erinnerungsmaterial, als wüssten sie, dass ihre gemeinsamen Momente bald nur noch Erinnerung sein werden. Schlaglichtartig zerschneiden Tanzszenen aus einer Disko das Geschehen immer wieder, Vor- und Rückblenden in einem. Man sieht den Vater, wie er sich fast krampfhaft freizutanzen versucht, auch die erwachsene Sophie taucht da plötzlich auf. Aber Sophie tanzt nicht.

Wer Filme wegen ihrer Handlung oder wegen spektakulärer Bilder mag, für den ist "Aftersun" vielleicht nichts. Aber wer bereit ist, sich emotional auf die Figuren einzulassen, den wird dieser Film umhauen.

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