Er war zu Lebzeiten ein sehr gefragter Maler von Seestücken. Kein Wunder, wurde Iwan Konstantinowitsch Aiwasowski doch an der Schwarzmeerküste geboren, in Feodossija im Süden der Halbinsel Krim. Die Stadt verdankt ihren Namen dem altgriechischen "Theodosia" und war kulturell von Griechen, Römern, Mongolen, Wikingern, Genuesern und Byzanz gleichmaßen beeinflusst, was zeigt, wie kosmopolitisch die Schwarzmeer-Region schon immer war. Berühmt-berüchtigt wurde die Handelsmetropole Feodossija unter der mittelalterlichen Bezeichnung "Kaffa", weil hier der Seuchenzug der Pest quer durch Europa begonnen haben soll.
"Entkolonialisierung der Kunst" gefordert
Heute beansprucht bekanntlich Putins Russland die Krim völkerrechtswidrig für sich, weshalb der Maler Aiwasowski aus Moskauer Sicht als ethnischer Russe gilt. Auch im Metropolitan Museum in New York, wo drei Werke von ihm zu bestaunen sind, u.a. ein "Schiff im Mondschein", wurde Aiwasowski bis vor kurzem als Russe bezeichnet. Doch die Ukraine mahnte dringend eine "Entkolonialisierung" der Kunst an, woraufhin Aiwasowski am 12. Februar in der Met-Ausstellung zum "ukrainischen Künstler" ausgerufen wurde. Eine entsprechende Information wurde an den ausgestellten Bildern angebracht. Auch das sollte nicht von Dauer sein: Inzwischen ist dort zu lesen, der Künstler sei Armenier, der im "Russischen Reich geboren wurde, und zwar in einer Stadt, die heute zur Ukraine" gehöre.
Mit solch erschöpfenden Auskünften, die an Satire grenzen, umschreibt das US-Museum letztlich nur eine Region, in der sich seit Jahrtausenden die Kulturen aus allen Himmelsrichtungen vermischen und gegenseitig bereichern. Das wäre in der Zeit der Globalisierung eine kostbare Tradition, die zu bewahren jede Anstrengung wert wäre. Stattdessen tobt in Russland, der Ukraine und den USA ein Kampf um Deutungshoheit und Nationalitäten.
"Er sprach kein Ukrainisch"
Rezensent Vartan Matiossjan schreibt im Kunst-Fachportal "Hyperallergic", es werde aktuell nur die eine Form der "Ignoranz" durch eine andere ersetzt. Der armenische Taufname Aivazian sei als Aiwasowski "russifiziert" worden, was im 19. Jahrhundert "gängige Praxis" gewesen sei: "Aber macht die Tatsache, dass Aiwasowski in Feodossija geboren wurde, einer Hafenstadt am Schwarzen Meer auf der Halbinsel Krim, wo er fast sein ganzes Leben verbrachte, ihn zum Ukrainer? Die Tatsache, dass er als Hovhannes Aivazian in der armenisch-apostolischen Kirche St. Sargis von Feodossija getauft und 83 Jahre später in derselben Kirche begraben wurde, zusammen mit seiner starken Identifikation mit dem armenischen Volk, sollte uns bereits alles über seine Identität sagen. Er gehörte nicht der ukrainischen Kirche an und sprach kein Ukrainisch." Es sei ja auch nicht jeder, der vor 1930 in Konstantinopel geboren wurde, ein Türke.
Nach politischem Druck aus Armenien hatte das Met-Museum in einer Stellungnahme geschrieben: "Wir recherchieren und untersuchen regelmäßig Objekte in unserer Sammlung, um die geeignetste und genaueste Art zu bestimmen, sie zu katalogisieren und zu präsentieren. Das schließt idealerweise die komplexen nationalen und kulturellen Identitäten in dieser Entstehungs-Region im neunzehnten Jahrhundert ein." Der Marine-Maler sei ein "Lieblingskünstler von Zar Nikolaus I." gewesen, habe einen "reichen kulturellen und sprachlichen Hintergrund" und nicht nur in Armenien, sondern auch in Georgien, Italien, Russland, der Türkei und der Festlandukraine ausgestellt.
"Surreal, absurd, barbarisch und falsch"
Der russische Politologe Sergej Markow ereiferte sich per Telegram-Post, der Maler, der angeblich 6.000 Werke hinterließ, mache derzeit "posthume Abenteuer" durch. Der Vorgang sei "surreal, absurd, barbarisch und falsch". Dahinter steckten wohl "Washington und Brüssel". Andere russische Medien regten sich auf, dass das Bild "Russische Tänzerinnen" des französischen Impressionisten Edgar Degas jetzt im New Yorker Museum als "Tänzerinnen in ukrainischer Kleidung" bezeichnet wird. Auch der berühmte Maler Ilja Repin (1844 - 1930) gilt jetzt offiziell als Ukrainer, weil er in Tschuhujiw bei Charkiw geboren wurde.
Die Direktorin der nach Aiwasowski benannten Kunstgalerie in Feodossija auf der Krim, Tatjana Gaiduk, sagte der kremlnahen Nachrichtenagentur RIA Nowosti: "Natürlich war Aiwasowski Armenier, er war Träger der armenischen und russischen Kultur. Armenische Traditionen herrschten bei ihm im Haus, im Alltag, aber für alle Außenstehenden ist Aiwasowski ein Vertreter der großen russischen Welt. Auf der ganzen Welt wurde er bekannt als russischer Künstler, einer von denen, die die russische Kunst verherrlichten. Er war sehr patriotisch, in seinen Gemälden besang er alle herausragenden Siege der russischen Segelflotte."
"Das ist offener Betrug"
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, beschwerte sich in typischer Propaganda-Manier: "Wenn Sie bewiesene Fakten haben, die durch Dokumente gestützt werden, und Sie anfangen, diese absichtlich zu verzerren, dies öffentlich zu tun und alles in eine Kampagne zu verwandeln, ist das eine antiwissenschaftliche Aktivität. Das ist offener Betrug." Ein souveräner Staat wie die Ukraine habe zu Lebzeiten von Aiwasowski und Repin jedenfalls "nicht existiert".
Die Nationalitäten-Debatte ist übrigens nicht auf das Met-Museum begrenzt. Die Verantwortlichen des Stedelijk Museum in Amsterdam haben den in Kiew geborenen Künstler Kasimir Malewitsch (1879 - 1935) neuerdings als Ukrainer eingestuft. Malewitsch ist einer der führenden Maler des Suprematismus. Seine Eltern waren polnischer Herkunft, der Künstler selbst soll sich wahlweise als Pole oder Ukrainer bezeichnet, später allerdings jegliche Nationalität abgelehnt haben.
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