Der Eishockey-Star bei den Olympischen Spielen in Peking
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Iwan Fedotow

    "Absolute Grausamkeit": Putin steckt Regime-Gegner in die Armee

    Eishockey-Star Iwan Fedotow wollte Russland verlassen und bei einem amerikanischen Club anheuern: Prompt wurde er gesetzwidrig zwangsrekrutiert, wie viele andere auch. Putin gab die Parole aus: "Selbstverwirklichung muss dem Vaterland dienen."

    Um klare Ansagen ist Wladimir Putin nicht verlegen: "Selbstverwirklichung ist unmöglich, ohne den Menschen zu dienen, ohne dem Vaterland zu dienen. Wenn jeder in seinem Bereich, in dem er sich selbst verwirklicht, Erfolge erzielt, besteht darin der Erfolg des ganzen Landes", sagte der Präsident kürzlich bei einem Treffen mit Preisträgern. Und an anderer Stelle, bei einer Begegnung mit den Fraktionsvorsitzenden des Parlaments, drohte er, Russland "habe noch gar nicht richtig angefangen" mit dem Angriffskrieg in der Ukraine: "Sie wollen uns auf dem Schlachtfeld besiegen. Was soll man dazu sagen? Sollen sie es versuchen." Kreml-Sprecher Dmitri Peskow interpretierte dieses Säbelgerassel auch nicht gerade unbescheiden mit den Worten: "Russlands Potenzial ist so groß, dass nur ein unbedeutender Teil davon in der Spezialoperation eingebunden ist."

    Putin fordert "Unterstützung" für die Armee

    Allerdings verwunderte Putin auch mit dem "Ausrutscher", dass er öffentlich von einem "Krieg" statt einer "Spezialoperation" sprach. Außerdem sorgte er mit dem Hinweis für Debatten, das Land lebe immer noch ein "normales, friedliches Leben" mit Sommer, Sonne, Sand und Meer, obgleich "Kameraden ihr Leben" verlören: "Es ist äußerst wichtig, dass unsere Soldaten Unterstützung spüren. Das wird ihnen Kraft geben. Und das ist sehr wichtig, um das [gewünschte] Endergebnis zu erzielen. Erreicht wird es auf jeden Fall, daran besteht kein Zweifel. Aber es wird für die Jungs einfacher sein, ins Feld zu gehen, Kampfeinsätze durchzuführen, wenn sie hinter ihrem Rücken die Unterstützung und den Atem des Vaterlandes, die Unterstützung unseres Volkes spüren." Da fragte sich der liberale "Kommersant", ob das etwa aus Putins Sicht bisher noch nicht der Fall sei und ergänzte ironisch: "Nein, es geht nicht um Mobilisierung."

    Mit vergleichsweise hohen Gehältern, aber auch mit massivem Druck, versucht der Kreml die Verluste in der Armee personell auszugleichen und seine großspurigen Ankündigungen wahrzumachen. Immerhin hat das Portal "Insider" recherchiert, dass per Stellen-Anzeige aktuell mindestens 2.166 Soldaten gesucht werden. Stolze 300.000 Rubel pro Monat (knapp 5.000 Euro) werden selbst gesundheitlich untauglichen "Freiwilligen" geboten, meldet das Portal "Currenttime". Der "Einfachheit halber" würden die Werbeoffiziere die Summe allerdings gleich in US-Dollar nennen. Das russische Durchschnittseinkommen liegt derzeit bei rund 1.000 Euro, Tendenz stark fallend. Die "Grundausbildung" für die Rekruten soll "drei bis sieben Tage" dauern, dann müssen sie an die Front.

    Privatarmee "Wagner" lockt Häftlinge

    Während der Kreml mit solchen Methoden, die nicht nur vom "Kommersant" als "verdeckte Mobilisierung" gewertet werden, nur mäßig erfolgreich ist, stockt er die Truppen offenbar mit Gefängnisinsassen und Regimegegnern auf. Junge Häftlinge wurden von der Privatarmee "Wagner" angesprochen und mit dem Versprechen gelockt, sie wären nach sechs Monaten Frontdienst frei und bekämen Arbeit. Der Vertrag sei "mündlich", hieß es beim Investigativ-Portal "Istories".

    Der prominente Eishockey-Spieler des armeeeigenen Clubs ZSKA Moskau, Iwan Fedotow (25), immerhin Nationaltorwart, der mit der Silbermedaille von den Olympischen Spielen in Peking kam, wurde gegen seinen Willen zum Wehrdienst gezogen. Grund dafür: Der Sportler hatte einen Vertrag bei dem amerikanischen Club "Philadelphia Flyers" unterschrieben und wollte Russland verlassen. Sein alter Vertrag beim ZSKA Moskau lief zum 30. April aus.

    "Ich plane im Juli umzuziehen"

    Fedotow sagte noch Ende Mai: "Die Verhandlungen verliefen gut. Ich plane im Juli umzuziehen. Zu diesem Zeitpunkt wird alles bereit sein. Habe ich Angst, ZSKA zu verlassen? Es geht nicht um Angst. Natürlich habe ich eine gewisse Verantwortung gegenüber ZSKA, aber auch gegenüber meinem früheren Verein Traktor Tscheljabinsk. Sie haben mir viel gegeben. Wenn ich zurückkehre, hoffe ich, dass sie bereit sind, mich wieder zu treffen."

    Doch dazu wird es nicht kommen: Am 30. Juni wurde er von der Militärstaatsanwaltschaft zur Festnahme ausgeschrieben. Angeblich beabsichtige er, sich der Wehrpflicht zu entziehen. Darauf stehen zwei Jahre Gefängnis. Mit großem Brimborium - die Kripo fuhr in mehreren Einsatzwagen an drei Adressen gleichzeitig vor - wurde der Spieler schließlich tags darauf festgesetzt, vorgeführt und unmittelbar danach wegen "Krankheit" in eine Klinik gefahren, wo nach Angaben der kremlkritischen "Nowaya Gazeta" drei Autos der Feldjäger Wache hielten.

    Dienst in der Arktis angekündigt

    Putin-Fans triumphierten per Nachrichtenagentur TASS, hoffentlich werde Fedorow gleich auf die abgelegene arktische Insel Nowaja Semlja verbannt. Dorthin wurde im Dezember 2019 auch Ruslan Schaweddinow, ein Mitarbeiter des Regimekritikers Alexei Nawalny zum Wehrdienst geschickt, nach eigener Aussage "270 Kilometer von der nächst gelegenen Zivilisation" entfernt, mit ganzen vier Kameraden. Einstweilen ist Fedotow allerdings nicht dort, sondern beim 907. Ausbildungszentrum der Marine in Sewerodwinsk untergebracht.

    "Das ist von Anfang bis Ende illegal", behauptet sein Anwalt Alexei Ponomarew. Kein Arzt habe den Eishockey-Star gemustert, wie gesetzlich vorgeschrieben. Außerdem gibt es in Russland ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Allgemein wird der Umgang mit Fedotow als "Rache" des Kreml gewertet, zumal es mehrere weitere Fälle gibt, die "Nowaya Gazeta" dokumentiert.

    Inzwischen wurde bekannt, dass amerikanische Eishockey-Clubs ungeachtet des Kriegs drei weitere russische Spieler für die nächste Saison der Profi-Liga anheuern wollen: Der 18-jährige Pawel Mintjukow soll von der ZSKA -Jugendmannschaft ins kalifornische Anaheim wechseln, Iwan Miroschnichenko von Omsk nach Washington D.C. und Danila Jurow von Magnitogorsk nach Minnesota. Ob es so kommt, wird sich erweisen.

    "Zugang zur Justiz ist Grundrecht"

    Fedorow-Anwalt Alexander Peredruk nennt die Einschüchterungsstrategie des Kreml illegal und spricht von "absoluter Grausamkeit". Das alles erinnere eher an eine "Razzia", denn Wehrpflichtigen stünde eigentlich der Rechtsweg gegen Entscheidungen der Musterungsbehörde offen: "Der Zugang zur Justiz ist ein Grundrecht, das alle anderen verfassungsmäßigen Menschenrechte garantiert."

    Der Fall ist auch deshalb bemerkenswert, weil fast wöchentlich Korruptionsfälle aufgedeckt werden, wonach einflussreiche Offiziere gegen Geldzahlungen jederzeit bereit sind, eine Musterung zurückzustellen und andere Wohltaten zu verteilen. Reiche Russen dienen selten in der Armee. Das kremlkritische Portal "Meduza" berichtet, zahlreiche Sportler aus Fußball und Eishockey hätten sich an den Geschäftsmann und "Entscheider" Farit Samigullin gewandt, um sich vom Militärdienst freizukaufen. Von zwanzig Personen ist die Rede. Putins Propaganda-Kanäle verbreiten die Behauptung, auch Fedorow sei unter den Beschuldigten, was dessen Anwalt bestreitet.

    Ausgerechnet der Militärkommissar auf der Krim, Juri Lymar, wird aktuell verdächtigt, bezüglich Wehrdienst-Freistellungen Bestechungsgelder angenommen zu haben. Zuvor war in Moskau der Ex-Chef der Funker, General Andrei Koban, wegen Korruption festgenommen worden, in St. Petersburg wurden sogar drei hochrangige Sicherheitsleute wegen "Amtsmissbrauch" dem Haftrichter vorgeführt. Sie alle sollen bereit gewesen sein, gegen Zahlungen in eine luxuriöse "Kaffee-Kasse" Entscheidungen zu manipulieren.

    Karte: Die militärische Lage in der Ukraine

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