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Hans Magnus Enzensberger Intellektuelles Gegengift

Stand: 26.08.2009 | Archiv

Hans Magnus Enzensberger (Aufnahme von 1966) | Bild: picture-alliance/dpa

"(...) Wer näht denn dem General den Blutstreifen an seine Hose? / Wer zerlegt vor dem Wucherer den Kapaun? (...) Ihr Lämmer, Schwestern sind, / mit euch verglichen, die Krähen: / ihr blendet einer den andern. / Brüderlichkeit herrscht / unter den Wölfen: / sie gehn in Rudeln (...)"

Auszug aus dem Gedicht 'Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer' (1957)

Diesen Giftpfeil in Versen schoss er aus seiner norwegischen Wahlheimat ab. Die Stimme aus dem geografischen Off war dennoch deutlicher zu vernehmen als so manche in Deutschland. Wenn sich Enzensberger etwas vorknöpft, wählt er gern den zweiten Blick, dreht den Spieß um.

Erbarmungslos geht er im Gedicht Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer ins Gericht: nicht mit den Tätern, sondern den Opfern, die die Täter gewähren lassen. Das Gedicht erschien 1957, mitten in der Ära der Adenauer-Regierung. In höchsten Staatsämtern durften unter anderem ehemalige Nazis Politik machen. Auch aus solchen Gründen wurde Enzensberger Deutschland unerträglich.

Kühl, ohne Sentiment

Der Gedichtband Verteidigung der Wölfe war zugleich Enzensbergers erster Auftritt als Autor. Es war ein nachhaltiger. Die Kritik lobte die "lockere Extravaganz der Bilder" und "schockierend aufeinander bezogene Vokabeln". In die deutsche Nachkriegsliteratur schob sich eine schneidende, mit Ironie durchsetzte, gerne auch aggressive und provokante Sprache, die jedweder Gefühligkeit eine Absage erteilte: "Lies keine Oden, mein Sohn, lies die Fahrpläne: / sie sind genauer." So fängt das Gedicht Ins Lesebuch für die Oberstufe an. Dass seine spätere Zeitschrift Kursbuch hieß - analog zur Fahrplanübersicht der Bahn -, war wohl kein Zufall.

Neuer Heine, neuer Brecht

Alfred Andersch: Förderer des jungen Enzensberger, in dem er einen Nachfahren Heinrich Heines sah

Was da zwischen dem kargen Ton der Trümmerliteraten und dem Pathos der Innerlichkeits-Barden dazwischenfunkte, war eine fast ausgestorbene Spezies: politische Lyrik. Sofort wurden Bezüge zu den Besten dieser Gattung hergestellt. Enzensbergers Mentor Alfred Andersch sah in ihm einen Nachfahren Heinrich Heines. Andere erhoben ihn zum legitimen Erben von Bertolt Brecht, der 1956, ein Jahr zuvor, gestorben war.

Prügel für den "Spiegel"

Unerbittlich war Enzensberger auch als Essayist. Dabei ortete er unvermutete Schwachstellen. Er legte den Finger in Wunden, wo andere noch gar nicht ahnten, dass welche klafften - zum Beispiel in Form von Medienkritik, die es vor ihm in Deutschland so gut wie nicht gab. 1957 untersuchte er Die Sprache des "Spiegel" und kam zu einem vernichtenden Resultat: "1. Die Sprache des 'Spiegel' verdunkelt, wovon sie spricht. 2. Das deutsche Nachrichtenmagazin ist kein Nachrichtenmagazin." Denn: Es produziere auf Emotion zielende Storys statt Nachrichten. Die "Spiegel"-Kritik war Enzensbergers erster großer publizistischer Schlag. Seine wenig schmeichelhafte Untersuchung hinderte ihn allerdings nicht daran, später selbst immer wieder für das einst gescholtene Organ zu schreiben.

"Dressierte Affen, die Pfeife rauchen und Klavier spielen; Der zweijährige John legt Männer auf die Ringmatte; Erstes Hotel für Hunde in Berlin; Weiblicher Stierkämpfer wird auf die Hörner genommen; Auch Elefanten müssen zum Finanzamt."

'Wochenschau'-Titel - von Enzensberger gesammelt in seinem Essay 'Scherbenwelt. Die Anatomie einer Wochenschau' (1957)

1962 nahm er sich die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vor. Im Aufsatz Journalismus als Eiertanz vertrat er die These, dass das Blatt bei seiner Berichterstattung just kritische Themen umkurve. Bereits 1957 hatte er im Essay Scherbenwelt. Die Anatomie einer Wochenschau das damalige visuelle deutsche Nachrichtenformat seziert, das in der Vor-TV-Ära noch im Kino lief. Das Ergebnis - wieder niederschmetternd: Sie sei "publizistisch ohne Wert. Sie ist ein Instrument zur Lähmung, nicht zur Entfaltung des Bewußtseins".

Industrie fürs manipulierte Bewusstsein

Nicht nur die Wirklichkeit interessierte Enzensberger, sondern ihre Vermittlung durch die Medien. Dabei entlarvte er gerade auch deren führende Erzeugnisse als manipulativ und verdummend - und nicht die "Bild"-Zeitung. An einem "Nullmedium" wie diesem gab es für ihn nichts mehr zu entlarven. Nicht nur Presse, Rundfunk und Film, auch Sport, Mode oder Tourismus waren laut Enzensberger inzwischen "Massenmedien". Für den gesamten Komplex prägte er den Begriff "Bewusstseins-Industrie", in Anlehnung an Adornos "Kulturindustrie".

Als Enzensberger einmal naiv war

Davon könne man sich jedoch emanzipieren, formulierte er 1970 im Aufsatz Baukasten zu einer Theorie der Medien: Man solle sich nicht mit der Rolle des Konsumenten zufrieden geben, sondern auch Produzent werden. Von einem solch optimistischen Kommunikationsmodell verabschiedete er sich jedoch später wieder.

Star, aber keine moralische Instanz

Als rhetorisch brillanter Essayist und avancierter Lyriker wurde Enzensberger rasch zu einem Star der jungen Schriftsteller-Generation mit Günter Grass, Ingeborg Bachmann oder Peter Rühmkorf. Auf Tagungen der Gruppe 47 war er Dauergast, schon mit 33 Jahren bekam er 1963 die höchste deutsche Literatur-Auszeichnung, den Georg-Büchner-Preis.

2005: Wiedersehen von ehemaligen "Gruppe 47"-Mitgliedern

Obwohl er schnell eine anerkannte intellektuelle Institution der Bundesrepublik wurde, vermied Enzensberger repräsentative Rollen, etwa die der moralischen Instanz oder die eines "linken Gewissens der Nation" à la Heinrich Böll. Er blieb Freigeist - und wechselte konsequent die Position, wenn er dazu Bedarf sah ...


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