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Flüchtlingskind Saman Warum sich dieser Junge nicht auf die Ferien freut

Der achtjährige Saman kam aus dem Iran nach Deutschland. Er leidet an einer schweren Hautkrankheit. Am Uni-Klinikum in München werden seine Schmerzen behandelt, heilbar ist die Krankheit nicht. ARD-Reporterin Hilde Stadler hat Saman und seine Familie über Monate begleitet.

Von: Hilde Stadler

Stand: 28.07.2016

Flüchtlingsjunge Saman | Bild: BR/Hilde Stadler

Seit Oktober 2015 leben der achtjährige Saman und seine Familie in München. Sie waren aus dem Iran über die Balkanroute geflohen. Der achtjährige Saman leidet an Epidermolysis Bullosa“, eine schwere Erkrankung der Haut, erblich, nicht ansteckend. Die Haut bildet beim geringsten Druck schmerzhafte Blasen und Wunden am ganzen Körper.

Im LMU-Klinikum München behandeln Fachärzte Saman und können seine Schmerzen lindern. Heilbar ist die Krankheit nicht. 

Direktor Johannes Nauerz begrüßt uns freundlich, bittet uns in sein Büro. Der achtjährige Saman und sein Vater Hossein sind in die Landesschule für Körperbehinderte gekommen um Saman dort anzumelden. Saman, der mit großen Augen immer schweigend beobachtet, was um ihn herum geschieht, meldet sich plötzlich zu Wort, auf Deutsch: „Ich heiße Saman und will in die Schule gehen!“ Papa Hossein ist stolz, Direktor Nauerz ist erst mal sprachlos.

Trotz Behinderung ist Saman sehr gut in der Schule

Das war vor sechs Monaten. Seither besucht Saman eine Förderklasse der Landesschule für Körperbehinderte. Er, der geistig hellwach ist, kann zum ersten Mal in seinem Leben lernen, wird speziell gefördert, was im Iran nicht möglich war. Saman sauge Wissen auf wie ein Schwamm, sagt seine Lehrerin Andrea Werner. Trotz der Behinderung seiner Hände habe Saman die schönste Handschrift in seiner Klasse. Die Schule ist ihm sehr wichtig.

"Sein Papa erzählt immer, dass er in den Ferien viel weniger gut gelaunt ist und wenn Schule ist, ist er fit morgens. Er steht bald auf, 6 Uhr steht er auf der Matte und treibt die Eltern an. Los ich will in die Schule!"

Andrea Werner, Lehrerin

Für Kinder mit Behinderungen ist Schule etwas sehr schönes

"Je schwerer behindert Kinder sind, desto mehr sind Ferien eine Qual. Weil hier an der Schule ist Leben, hier sind die Freunde. Saman erlebt tagtäglich, wie schön es hier ist und wie lang dann sechs Wochen Ferien sind."

Johannes Nauerz, Direktor Landeschule für Körperbehinderte München

Auch Solmaz, Samans zwölfjährige Schwester, besucht seit einem halben Jahr die Schule, die 5-Ü an der Alfons-Mittelschule in Neuhausen. Solmaz ist ehrgeizig hat große Ziele in jeder Hinsicht. Ihr Berufswunsch: Gehirnchirurgin. Solmaz gehöre zu den Besten in ihrer Klasse, sei sehr strukturiert und mache tolle Fortschritte, schwärmt ihre Lehrerin.  

"Solmaz empfindet die Schule als etwas sehr sehr Positives. Sie zieht wirklich den größten Nutzen daraus, dass sie hier sehr intensiv Deutsch lernen kann, zehn Stunden in der Woche. Und da fehlen ihr natürlich in den Ferien ihre neuen Freundinnen und Freunde."

Brenda Büchsenschuß, Lehrerin Mittelschule Alfonsstraße

Auch die Eltern drücken die Schulbank

Solmaz sei überaus beliebt bei ihren Mitschülern in der Klasse, ein echter „Sonnenschein“, sagt ihre Lehrerin Brenda Büchsenschuß. Erstaunlich, denn eigentlich werden die Geschwister von schwerkranken Kindern als "Schattenkinder" bezeichnet. Die Aufmerksamkeit und Sorge der Eltern, Großeltern, der ganzen Familie konzentriert sich auf das kranke Kind, während das gesunde Kind im Schatten steht. Eine schwierige Situation. Eigene Wünsche, Bedürfnisse der gesunden Geschwister müssen oft zurückstehen. Hinzu kommt die Angst um den kranken Bruder oder die Schwester. Solmaz hat einen Ausgleich gefunden: in der Musik und im Sport. Sie nimmt Unterricht auf der Setar, singt und sie schwimmt gern, spielt Fußball und übt Weitsprung.

Auch Mutter Neda und Vater Hossein gehen seit einem halben Jahr wieder in die Schule. Sie besuchen einen Integrationskurs, lernen intensiv Deutsch. Bei den Hausaufgaben fragen sie oft ihre Kinder um Rat. Die genießen das offensichtlich, wenn sie mal zur Abwechslung den Erwachsenen sagen können, was Sache ist.

Als Solmaz und Saman hören, dass ein Kamerateam an ihre Schule zum Filmen kommt, sind sie aufgeregt und begeistert. An einem sonnigen Sommertag drehen wir bei den „Olympischen Spielen“ an der Landesschule für Körperbehinderte. Beim Einzug der Athleten im Schulpark ist Saman der Fahnenträger seiner Klasse. Er nimmt bei mehreren Wettbewerben teil: beim Angeln, beim Ritterspiel und beim Armbrustschießen. Alle Kinder, egal welche Behinderung sie haben, machen begeistert mit. Die olympische Idee "Dabei sein ist alles" wird hier wunderbar umgesetzt. Und auch Saman, der einen sehr angeschlagenen Eindruck macht, scheint es zu gefallen.

Die "Übertragungsfigur" ist für kleine Patienten sehr wichtig

Stets an Samans Seite, auch während der Wettkämpfe: die Puppe Momel(ein Er!), das Maskottchen seiner Klasse. Für Saman ist Momel zum wichtigen Vertrauten geworden, wie mir später eine Ärztin berichtet, die Saman seit einiger Zeit behandelt. Momel käme aus Amerika und sei auch krank, habe ihr Saman erzählt. Daher würden manche Untersuchungen auch zuerst an Momel durchgeführt, der dann Saman darüber aufklären würde. Die medizinische Bezeichnung für Momel ist "Übertragungsfigur". Sie sei immens wichtig gerade für Patienten im Kinderalter, sagen die Ärzte.

Ein paar Tage später geht es Saman so schlecht, dass er stationär im Kinderpalliativzentrum der Uni-Klinik in Großhadern behandelt werden muss. Die Ärzte stellen eine Infektion fest. Seine Eltern können immer bei ihm sein, Tag und Nacht. Mutter Neda übernachtet bei Saman im Patientenzimmer, das hell und freundlich wirkt, wie ein Wohnzimmer, mit Vorhängen und einem Sofa. Kindgerecht, wohnlich und gleichzeitig die intensivmedizinische Versorgung einer Universitätsklinik- das ist das Konzept des Kinderpalliativzentrums. Dazu gehört auch, dass Ärzte keine weißen Kittel tragen und auch Pflegekräfte in Alltagskleidung die kleinen Patienten betreuen. Hauptziel der Palliativmedizin ist möglichst viel Lebensqualität zu schaffen für das schwerkranke Kind und für die ganze Familie.

Das Ziel der Ärzte: den unheilbar Kranken ein angenehmes Leben zu ermöglichen

"Als Ärzte können wir Samans Erkrankung nicht heilen können, aber wir können sie lindern, und da können wir Saman sehr viel an Lebensqualität zurückgeben. Aber bei allen Eltern, so auch bei Samans Eltern, gibt es diesen Funken Hoffnung, dass es durch den medizinisch-wissenschaftlichen Fortschritt irgendwie eine Möglichkeit der Heilung gibt. Das ist schwer, auch für uns als Ärzte, wenn wir erklären müssen, dass wir zumindest bisher die Krankheit nicht heilen können."

Prof. Dr. Monika Führer, Leiterin Kinderpalliativzentrum, LMU Klinikum Großhadern

Inzwischen geht es Saman wieder besser und er konnte aus der Klinik entlassen werden und wieder nach Hause. Dort wird er ambulant von einem Palliativteam weiter behandelt.

Seiner Schwester Solmaz und der Puppe Momel hatte er viel zu berichten, nämlich über Asterix und Obelix und ihre Abenteuer, über die man ihm im Kinderpalliativzentrum vorgelesen hatte. Seither gibt es einen neuen Helden in Samans Leben: Obelix, der große starke furchtlose Gallier, den Saman ganz toll findet. Und mit Asterix und Obelix lässt sich auch der eine oder andere langweilige Ferientag gleich viel besser aushalten.


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