Im Kondolenzbuch für die getötete Luise in der evangelischen Kirche von Freudenberg bekunden Trauerende ihre Fassungslosigkeit über die Tat.
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Im Kondolenzbuch für die getötete Luise in der evangelischen Kirche von Freudenberg bekunden Trauerende ihre Fassungslosigkeit über die Tat.

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Zum Äußersten fähig? Wie es dazu kommen kann, dass Kinder töten

Die mutmaßliche Tat zweier Minderjähriger macht sprachlos: Die Mädchen, beide jünger als 14 Jahre und damit nicht strafmündig, haben gestanden, eine zwölfjährige Bekannte aus Freudenberg getötet zu haben. Wie kann es sein, dass Kinder töten?

Zwei Mädchen, zwölf und 13 Jahre, erstechen offenbar eine Gleichaltrige: Die Tat haben sie nach kurzer Zeit gestanden. Die Nachricht hat bei vielen Entsetzen ausgelöst. Fälle, in denen Kinder zu Straftätern werden, sind in den Kriminalstatistiken weitgehend unbeachtet. Kinder sind nach deutschem Recht erst mit 14 Jahren strafmündig, werden daher auch nicht verurteilt. In den Statistiken tauchen sie nur in der Kategorie "Verdächtige" auf.

Tat setzt Vorgeschichte voraus

Kriminalpsychologe Rudolf Egg war langjähriger Leiter der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden. Der Fall aus Nordrhein-Westfalen hat ihn aber ebenso überrascht. Statistisch gesehen sind diese Fälle – vor allem von Mädchen begangen – äußerst selten. Trotzdem gibt Egg zu bedenken, "dass es bereits Probleme in dem noch sehr jungen Lebensweg dieser Kinder gegeben haben muss." Kinder würden nicht von einem Moment auf den anderen zu Mördern oder Mörderinnen. Das wäre, so der Kriminalpsychologe, eine "sehr schlichte Vorstellung". Vielmehr müsse es schon im Vorfeld irgendetwas gegeben haben.

Genauso geht auch der Kinder- und Jugendtherapeut Andreas Krüger vom Hamburger Institut für Psychotraumatologie des Kindes nicht davon aus, dass die Mädchen, die eine Gleichaltrige erstochen haben, in einer heilen Welt aufgewachsen sind: "Wahrscheinlich gibt es für diese Mädchen eine Jugendamtsakte." Der Therapeut vermutet, dass beide aus Verhältnissen kommen, wo das Kindeswohl nicht sicher gegeben war, wo Vernachlässigung und häusliche Gewalt herrschten.

Krüger befasst sich nicht nur beruflich, sondern auch auf ehrenamtlicher Basis mit jungen Menschen, die ein Trauma erlitten haben: Er hat das Therapiezentrum Ankerland in Hamburg gegründet, wo traumatisierte Kinder und Jugendliche - aber auch ihre Eltern - Hilfe bekommen.

Moralpsychologe vermutet "fehlgeleitete Entwicklung"

Doch wie kommt es soweit, dass Kinder andere Kinder töten? Wie kann es zu diesem kompletten Kontrollverlust, zu diesem Gewaltexzess kommen? Für den Kinder- und Jugendtherapeuten steht ganz klar die Gesellschaft in der Verantwortung. Kinder seien immer auch das Produkt ihrer Umwelt, sagt der Therapeut. "Das Opfer ist Opfer, keine Frage. Das ist tragisch. Aber Kinder, die Gewalttaten verantworten müssen, sind aus meiner Sicht keine Täter. Sondern sie sind alleingelassen mit ihrer eigenen Verzweiflung, mit ihrer eigenen Störung, mit ihrer meistens kindeswohlgefährdenden Wirklichkeit."

Kinder sind – da sind sich die Experten einig – zu Recht schuldunfähig. Das Bewusstsein für Schuld muss sich erst entwickeln, betont der Würzburger Moralpsychologe Ralf Lutz: "Normalerweise will kein Kind und auch kein Jugendlicher jemandem etwas antun oder wehtun. Das ist gar nicht die Intention. Schon allein das Bestreben ist eigentlich eines, das auf eine fehlgeleitete Entwicklung hindeutet."

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