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Urteil Beate Zschäpe

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Zschäpe-Verteidiger wollen Revision einlegen

Zschäpe-Verteidiger wollen Revision einlegen

Beate Zschäpe ist für zehn Morde mitverantwortlich und muss lebenslang in Haft - so die Überzeugung des Münchner Gerichts. Zschäpes Verteidiger sehen das anders und wollen in Revision gehen. Ob es dazu kommt, entscheidet sich in Karlsruhe.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Wie am ersten Prozesstag vor gut fünf Jahren hatte Beate Zschäpe am Morgen in entspannter Haltung und mit einem Lächeln auf den Lippen den Gerichtssaal betreten. Auch die Urteilsverkündung im NSU-Prozess in München nahm sie äußerlich gelassen, mit über ihrem Laptop gefalteten Händen auf: Die 43-jährige Hauptangeklagte muss lebenslang in Haft.

Nach 437 Verhandlungstagen ist Zschäpe für die Ermordung von zehn Menschen als Mittäterin verurteilt worden. Es geht um die Morde an Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodorus Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgat und Michele Kiesewetter.

"Besondere Schwere der Schuld" festgestellt

Dazu kommt der Mordversuch an Martin A. in Heilbronn sowie die Sprengstoffanschläge in Köln und die Raubüberfälle samt den jeweiligen Begleittaten - etwa die Verletzungen und der Mordversuch in der Kölner Keupstraße. Wie die Mordversuche in der Zwickauer Frühlingsstraße bewertet wurden, ist noch nicht ganz klar.

Nach Überzeugung von Richter Manfred Götz waren die Taten des NSU von Zschäpe mitgeplant und nur durch ihre Mitwirkung durchführbar - sie habe sich damit genau wie die NSU-Täter Böhnhardt und Mundlos, mit denen sie zusammenlebte, willentlich der gemeinsam gewollten Gesamtkonzeption unterworfen. Für alles zusammen hat Zschäpe eine lebenslange Haftstrafe bekommen. Weil das Gericht die "besondere Schwere der Schuld" festgestellt hat, ist ein Antrag auf Freilassung nach 15 Jahren nur in genau begründeten Ausnahmefällen möglich. Eine Unterbringung in Sicherheitsverwahrung hält das Gericht nicht für erforderlich.

Zschäpe-Verteidiger: "Das Urteil ist falsch"

Mathias Gräsel, Anwalt des Verteidigerteams von Zschäpe, hat die Verurteilung wegen Mittäterschaft in einer Stellungnahme als "juristisch nicht haltbar" bezeichnet. Er argumentiert, Zschäpe sei "nachweislich an keinem Tatort anwesend" gewesen und habe "nie eine Waffe abgefeuert oder eine Bombe gezündet". Zschäpe werde als "Stellvertreterin" für die ums Leben gekommenen Täter Böhnhardt und Mundlos behandelt. Er werde daher "selbstverständlich Revision einlegen". Ähnlich hatte sich auch Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer geäußert.

Wie geht es im Fall eines Revisionsantrags weiter?

Vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe würde nicht der gesamte fünfjährige Prozess neu aufgerollt. Das Urteil würde nur auf rechtliche Fehler überprüft - etwa Verfahrensfehler oder Fehleinschätzungen bei der juristischen Bewertung. Zur Wiederaufnahme aufgrund eines möglichen Antrags der Anwälte käme es also nicht zwangsläufig, sondern nur, wenn erhebliche Rechtsfehler erkennbar wären.

Haft für Mitangeklagte

Neben Beate Zschäpe sind noch vier weitere Unterstützer des NSU verurteilt worden. 

  • Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben muss als Waffenbeschaffer für zehn Jahre ins Gefängnis. Seine Verteidiger, die im Gerichtssaal durch Hitler-Zitate aufgefallen waren, hatten Freispruch gefordert.
  • Holger G. wird zu drei Jahren verurteilt. Er wird der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung schuldig gesprochen. G. hatte zugegeben, dem NSU-Trio einmal eine Waffe übergeben und den Untergetauchten mit falschen Papieren geholfen zu haben. Seine Verteidiger hatten für eine "milde Strafe" plädiert. Noch unklar ist, ob er sofort in Haft kommt. Weil er schon in U-Haft war, die Strafe im Vergleich zur U-Haft recht gering ausfällt und das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, ist dies eher unwahrscheinlich.
  • Der Mitangeklagte André E. ist zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden - allerdings nicht wegen Beihilfe zum versuchten Mord, wie die Bundesanwaltschaft gefordert hatte, sondern nur wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. E. hatte im Gerichtssaal beharrlich geschwiegen. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung in Zwickau war eine mit Runen verzierte Porträtzeichnung der NSU-Terroristen Mundlos und Böhnhardt aufgefallen, die er über dem Fernseher aufgehängt hatte - was Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten als "Geständnis durch schlüssiges Verhalten" gewertet hatte.
  • Carsten S., dessen Verteidiger Freispruch gefordert hatten, erhält eine Erziehungsstrafe von drei Jahren. Er hatte gestanden, dem "Nationalsozialistischen Untergrund" die Ceska-Pistole übergeben zu haben, mit der die Neonazi-Terroristen später neun Menschen erschossen. Bei ihm kommt das Jugendstrafrecht zur Anwendung, weil er zur Tatzeit noch als Heranwachsender galt.

Damit folgt das Gericht in seinen Urteilen auch bei ihnen weitgehend den Ausführungen der Anklage.

Derzeit wird das Urteil mündlich erläutert. Richter Manfred Götzl liest, wobei er chronologisch bei den ersten Taten Mitte der 1990er-Jahre beginnt. Gerichtssprecher Gliwitzy hat erklärt, dass die Urteilsbegründung den ganzen Tag über andauern werde. Das Aktuellste lesen Sie in unserem Expertenblog

Reaktionen der Opfer-Vertreter: Vieles ist noch offen

Für Barbara John, Ombudsfrau für die Opfer des NSU, entspricht das Urteil dem, was die Familien der Opfer erwartet haben. Als "gewisse Schwäche" des Urteils bezeichnet es John, dass Zschäpe nach 15 Jahren wieder freikommen könnte - was durch Feststellung der "besonderen Schwere der Schuld" aber unwahrscheinlich ist.

Ein Nebenklage-Vertreter will Revision gegen die Verurteilung zweier Mitangeklagter prüfen.

"André E., der auf seiner Brust tätowiert hat 'stirb Jude stirb' und Ralf Wohlleben, der ehemalige NPD-Chef in Jena, die sind doch sehr, sehr sanft behandelt worden, und da werden wir uns das Urteil genau anschauen und auch schauen, ob wir Revision einlegen." Anwalt Mehmet Daimagüler nach der Urteilsverkündung zum Bayerischen Rundfunk.

Für Daimagüler gibt es auch nach dem Urteil noch vieles, das der Prozess nicht klären konnte: Etwa, wie viele Menschen wirklich zum NSU gehörten. Und: Welche Rolle die Verfassungsschutzbehörden gespielt haben. Zudem sind noch weitere Verfahren gegen mutmaßliche Unterstützer des NSU anhängig, unter anderem gegen die Frau von Andre E. und "gegen unbekannt". Angehörige der Mordopfer und Verletzten der Kölner Sprengstoffanschläge, die für das Urteil angereist sind, befürchten, dass diese Verfahren eingestellt werden könnte. Für sie wäre das ein Versagen des Staates.

Großes Interesse am Prozessende

Das anfangs enorme Interesse hatte währen seiner fünfjährigen Dauer merklich nachgelassen. Das änderte sich zur Urteilsverkündung. Schon lange vor Öffnung des Gerichtssaals hatten sich über 150 Menschen auf dem Platz vor dem Oberlandesgericht eingefunden. Polizisten hatten Absperrungen aufgestellt, die Schlange vor dem Einlass für die Besucher wand sich in mehreren Kurven. Die meisten standen vergeblich für einen der etwa 50 Zuschauerplätze an.

Mehrere Initiativen halten Kundgebungen ab, eine freie Künstlergruppe aus Zwickau hat bunt bemalte Bänke in ein Zelt gestellt. Zehn sind mit den Namen der Opfer des NSU beschriftet, die elfte soll auf weitere rassistische Straftaten im Umfeld von Zwickau hinweisen.