Die Aktionärsschützer wollen im Fall Wirecard die Rechtsverstöße der ehemaligen Vorstände und die Fehler der Wirtschaftsprüfer von Ernest & Young (EY) unter die Lupe nehmen lassen. Im Fall des früheren Wirecard-Chefs Markus Braun spricht die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e. V. (DSW) unter anderem vom Verdacht fehlerhafter Kapitalmarktinformationen und mutmaßlicher Bilanzfälschung.
Ermittlungen auch wegen Geldwäsche und Insiderhandel
Die Münchener Staatsanwaltschaft ermittelt auch wegen Geldwäsche und illegalen Insiderhandels. Sollte Braun strafrechtlich verurteilt werden, könnte von seinem Privatvermögen nicht mehr viel übrig bleiben für die Schadensersatzklagen der Aktionäre. Vom Insolvenzverwalter haben die Aktionäre nichts zu erwarten, weil sie zur Kapitalseite des Unternehmens und damit formal zu den Gläubigern zählen. Mehr als den Kurswert ihrer Aktien können sie im Insolvenzverfahren aber nicht verlieren.
Die DWS und andere Anlegeranwälte zielen in ihren Musterfeststellungsverfahren vor allem auf die Wirtschaftsprüfer von EY, weil dort mehr zu holen wäre. Kernpunkt sind die beiden angeblichen Bankkonten auf den Philippinen, deren Kontostand Wirecard mit 1,9 Milliarden Euro angab. Eine einfache Nachfrage bei den Banken dort ergab, dass diese Konten nie existierten. Zu einer solchen Nachfrage wäre den Klägern zufolge auch EY verpflichtet gewesen.
Bundesfinanzminister Scholz unter Druck
Der Fall Wirecard bleibt unterdessen auch ein politischer: Wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" nun berichtet, ist Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) einem Zeitungsbericht zufolge schon vor knapp eineinhalb Jahren über verdächtige Vorgänge bei Wirecard informiert worden. Scholz sei am 19. Februar 2019 darüber unterrichtet worden, dass die Finanzaufsicht Bafin "in alle Richtungen wegen Marktmanipulation ermittelt, das heißt sowohl gegen Verantwortliche der Wirecard AG als auch gegen Personen, bei denen Hinweise zur Beteiligung an Marktmanipulationen vorliegen". Das Blatt zitiert dabei aus einem ihm nach eigenen Angaben vorliegenden Sachstandsbericht des Bundesfinanzministeriums an den Finanzausschuss des Bundestags.
Weiterer Tatverdächtiger hat sich in München gestellt
Damit nicht genug: Inzwischen packt im milliardenschweren Bilanzskandal des Zahlungsdienstleisters ein zentraler Beschuldigter aus. Der wegen Betrugsverdachts inhaftierte frühere Chef der Wirecard-Tochter Cardsystems Middle East räumte nach Angaben seines Anwalts im Verhör der Staatsanwaltschaft München eine Tatbeteiligung ein. "Mein Mandant hat sich freiwillig dem Verfahren gestellt und steht - im Gegensatz zu anderen - zu seiner individuellen Verantwortung", sagte dessen Strafverteidiger Nicolas Frühsorger am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters. Die Münchner Staatsanwaltschaft lehnte eine Stellungnahme ab.
Schwerpunkt der milliardenschweren Manipulationen in Dubai?
Der deutsche Manager war von Dubai nach München geflogen und hatte sich Anfang der vergangenen Woche gestellt. Er sitzt wegen Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl stützt sich unter anderem auf den dringenden Verdacht des schweren gemeinschaftlichen Betrugs. Im Emirat Dubai vermuten die Ermittler einen Schwerpunkt der mutmaßlichen milliardenschweren Manipulationen der Wirecard-Geschäftszahlen.
Diskussion über Versäumnisse von Behörden
Vorstandschef Markus Braun trat zurück und hat sich ebenfalls der Staatsanwaltschaft gestellt. Vorstand Jan Marsalek, der für das Tagesgeschäft zuständig war, ist dagegen nach seiner fristlosen Entlassung untergetaucht. In Deutschland ist inzwischen eine Debatte über Versäumnisse von Behörden und Wirtschaftsprüfern entbrannt, denen die Bilanzfälschungen lange verborgen geblieben waren.
"Darüber spricht Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!