Die Situation der Orthodoxie in der Ukraine ist kompliziert. Neben der orthodoxen Kirche der Ukraine, die der Patriarch von Konstantinopel 2019 als eigenständig anerkannt hat, existiert noch die ukrainisch-orthodoxe Kirche, die bis vor kurzem zum Moskauer Patriachat von Kyrill I. gehörte.
Vor rund einem halben Jahr hat sich diese Kirche abgespalten, weil Kyrill sich immer wieder auf die Seite Putins gestellt hat. Die Osteuropa-Expertin und katholische Theologin Regina Elsner beobachtet, wie sich Kyrills Rhetorik seit Beginn des Krieges verschärft hat: "Mit der Mobilisierung im September hat er angefangen davon zu sprechen, dass die Soldaten einen heiligen Dienst tun und, dass ihnen die Sünden vergeben werden, wenn sie im Krieg sterben."
Das sei eine neue theologische Stufe der Rechtfertigung des Krieges. "Seit Anfang des Jahres sieht man, dass er sich eindeutig radikalisiert, hinter diesen Krieg stellt und völlig hemmungslos davon spricht, dass die Grenzen der Ukraine künstlich hergestellt wurden", sagt Regina Elsner.
Kirchlicher Gründungsmythos eng mit Ukraine verbunden
Für Kyrill gehe es dabei auch um einen territorialen Machtanspruch. Denn der Gründungsmythos der russisch-orthodoxen Kirche ist eng mit dem Gebiet der heutigen Ukraine verbunden. Hier liegen zentrale Heiligtümer, wie das Kiewer Höhlenkloster. Wenn man die Ukraine verliere, verlieren man also auch viele Heiligtümer, sagt Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien. "Man verliert einen Teil seiner eigenen Geschichte und muss die eigene Identität ganz neu definieren. Das ist unvorstellbar für Moskau, dass man ohne Kiew eine eigene orthodoxe Identität entwickeln könnte oder müsste." Deshalb glaubt Elsner halte man an der Ukraine so verbissen fest. "Gleichzeitig erlaubt man der russischen Armee die Ukraine zu beschießen. Das ist sehr widersprüchlich", meint die Theologin.
Als im vergangenen Sommer die ukrainisch-orthodoxe Kirche auf einem Konzil beschlossen hatte, sich vom Moskauer Patriarchat abzuspalten, war das eine deutliche Reaktion gegen Kyrill und seine pro-russische Propaganda. Zuvor war lange der innerkirchliche Druck gestiegen, sich von Moskau loszusagen. Mehr als 400 Priester hatten wegen der Legitimation des Krieges etwa ein Kirchentribunal gegen Putin gefordert .
Unabhängigkeit der ukrainischen Kirche kirchenrechtlich umstritten
"Es ist allerdings kirchenrechtlich umstritten, was da passiert ist", sagt Regina Elsner. "Ob das wirklich eine vollständige Unabhängigkeit ist, oder ein Graubereich, der eigentlich keine richtige Trennung bedeutet - das wird stark diskutiert", sagt die Theologin.
Russland erkennt die neue Kirche nicht an. Und auch Priester und Bischöfe der ukrainisch-orthodoxen Kirche stehen immer wieder unter Verdacht, weiter Verbindungen nach Russland zu unterhalten. Durch den ukrainischen Geheimdienst kam es beispielsweise wiederholt zu Razzien in Klöstern.
"Es gibt in dieser Kirche Priester und Bischöfe, die kollaborieren mit Russland und dagegen geht der ukrainische Staat inzwischen deutlich vor", beobachtet Regina Elsner. Das werfe natürlich die Frage auf, ob die Religionsfreiheit in der Ukraine noch gewährt wird. Die Masse der Gläubigen sei allerdings eindeutig ukrainisch, fügt sie hinzu. Da gebe es gar keinen Zweifel an der ukrainischen Identität, sagt Elsner und fragt: "Inwieweit wird hier eben auch eine ganze Kirche stigmatisiert und unter Druck gesetzt?"
Protest: Ukrainer feierten Weihnachten am 25. Dezember
Viele Christen in der Ukraine versuchen sich abzugrenzen. Zuletzt wurde das an Weihnachten deutlich. Aus Protest gegen Russland feierten manche orthodoxen Christen ihr Weihnachten nicht, wie in der russisch-orthodoxen Kirche üblich, am 6. Januar, sondern bereits am 25. Dezember wie in der griechisch-orthodoxen Kirche.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
Sie interessieren sich für Themen rund um Religion, Kirche, Spiritualität und ethische Fragestellungen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Jeden Freitag die wichtigsten Meldungen der Woche direkt in Ihr Postfach. Hier geht's zur Anmeldung.