25.10.2022, Niedersachsen, Bergen: Deutsche Soldaten nehmen an einer Gefechtsübung der Deutsch-Französischen Brigade in der Lüneburger Heide teil und trainieren die Handhabe mit dem Panzerabwehrsystem «MELLS».
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Gefechtsübung der Deutsch-Französischen Brigade

    Wie sinnvoll wäre die Wiedereinführung der Wehrpflicht?

    Für Verteidigungsminister Pistorius war das Aussetzen der Wehrpflicht ein Fehler. Aber auch ein Jahr nach Beginn des Ukraine-Krieges stellt sich die Frage: Ist eine Wiedereinführung sinnvoll?

    Deutschland diskutiert über die Wiedereinführung der Wehrpflicht. So sagte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) jüngst, er sehe "gute Argumente" für die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht, die neben dem Wehrdienst unter anderem auch Rettungsdienste und Katastrophenschutz umfassen soll.

    Allerdings gibt es dafür laut einer Studie, die Greenpeace in Auftrag gegeben hat, aktuell in der Bevölkerung keine Mehrheit. In der Studie stimmten lediglich 46 Prozent der Deutschen einer Wehrpflicht zu, 50 Prozent der Befragten lehnten diese hingegen ab. Hinzu kommt, dass eine Wehrpflicht oder allgemeine Dienstpflicht enorme Herausforderungen mit sich bringen würde, bei denen nicht klar ist, ob die Bundeswehr diese in ihrem aktuellen Zustand meistern kann.

    Hat Bundeswehr überhaupt entsprechende Infrastruktur?

    Schimmelnde Kasernen, kein Wifi für Büroarbeiten, Mängel bei sanitären Einrichtungen: Die Wehrbeauftragte Eva Högl hat bei ihren Truppenbesuchen eine teils "marode" Infrastruktur vorgefunden. Wie soll die Bundeswehr da tausende zusätzliche Rekrutinnen und Rekruten aufnehmen?

    Daniel Lücking ist ein ehemaliger Soldat und Ausbilder bei der Bundeswehr. Heute arbeitet er als Journalist und ist zudem wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einem Bundestagsabgeordneten der Linken. Er sieht die Wiedereinführung einer Wehr- oder Dienstpflicht kritisch: "Es sind momentan auch keine Kasernen dafür verfügbar. Die Bundeswehr hat viele Kasernen aufgegeben, viele der Gebäude sind in einem miserablen Zustand. Selbst für die bestehende Größe der Armee sind gar nicht genügend Kapazitäten vorhanden." Es bräuchte eine sehr lange Zeitdauer, um Unterkünfte aufzubauen und Ausbildungskonzepte zu entwickeln. "Genau das macht diese Wehrpflichtdebatte auch immer wieder so sinnlos“, so Lücking.

    Bundeswehr mit Nachwuchsproblemen

    Die Bundeswehr habe bereits jetzt Schwierigkeiten, ihre Posten zu besetzen, so Lücking, "Mit welcher Motivation sind denn diese Menschen dann da, wenn es darum geht, sie als Wehrpflichtige einzusetzen?" Dies bringe keiner der beiden Seiten etwas. Selbst für die bestehende Größe der Armee seien gar nicht genügend Kapazitäten vorhanden, sagt Lücking.

    Auch der Bundestagsabgeordnete Johannes Arlt (SPD), ebenfalls ehemaliger Ausbilder bei der Bundeswehr, sieht den Zustand der Bundeswehr kritisch. Er stimmt der Wehrbeauftragten Eva Högl zu, dass die Infrastruktur stellenweise "marode" und "schlecht" sei. Selbst bei optimistischer Schätzung würde es mindestens fünf Jahre dauern, bis die ersten Rekrutinnen und Rekruten ausgebildet werden können, so Arlt. Für ihn spricht dies jedoch nicht gegen die mittelfristige Einführung eines allgemeinen Dienstes.

    Braucht die Bundeswehr mehr Expertinnen und Experten?

    Vielfach wurde an der Idee einer Wiedereinführung der Wehrpflicht auch kritisiert, dass eine Ausbildung an der Waffe heutzutage viel zu komplex wäre, um sie im Rahmen einer Grundausbildung zu erlernen. So sagte etwa Anton Hofreiter (Grüne) im kontrovers-Interview im Bayerischen Rundfunk, er halte nichts von einer allgemeinen Wehrpflicht: "Wir brauchen eine Bundeswehr, die an hochmodernen Geräten professionell agiert und da hat man es ganz viel mit IT-Spezialisten zu tun und deshalb geht's darum, die Bundeswehr so auszustatten, dass sie ihren Aufgaben wirklich nachkommt."

    Der Politikwissenschaftler Carlo Masala spricht sogar von mindestens 15 bis 20 Monaten. Könnte die Bundeswehr das überhaupt leisten? Laut Masala würde dies Milliarden kosten.

    Johannes Arlt sagt ebenfalls, dass ein Dienst unter neun Monaten auf keinen Fall sinnvoll sei. "Ich kann Ihnen sagen, dass es in sechs Monaten keinen Sinn macht, Leute auszubilden. Weil dann die Ausbildungsnutzungs-Ratio zu gering ist und die Leute keine Praxis kriegen und ihr Wissen nicht vernünftig anwenden können."

    Auch Lücking spricht von mindestens neun Monaten bis hin zu einem Jahr, er sagt aber auch: "In allen Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg brauchte es Spezialausbildungen beim Militär. Wer dort nur als Wehrpflichtiger gewesen ist, hat eben nur einen sehr kleinen Teil an Ausbildung bekommen."

    Führt die Wehrpflicht zu mehr Akzeptanz der Bundeswehr in der Gesellschaft?

    Viele junge Menschen würden sich komplett überfordert fühlen mit den Entscheidungen, die sie nach der Schule treffen müssten, sagt der Bundestagsabgeordnete Johannes Arlt (SPD). Wenn er mit jungen Menschen spreche, etwa Schulklassen, die ihn im Parlament besuchen, höre er, dass sie ein Jahr verpflichtenden Dienst für ihr Land mehrheitlich begrüßen würden. "Die finden das eine gute Idee", so Arlt.

    Statistisch zeigt sich hier jedoch ein großer Unterschied mit Blick auf die Geschlechter: Während knapp 60 Prozent der jungen Männer bis 29 eine Wehrpflicht begrüßen würden, stimmten laut der Greenpeace-Studie lediglich 30 Prozent der jungen Frauen zu. Ein möglicher Vorteil bei einer Wiedereinführung wäre jedoch: Die Bundeswehr würde mehr in den Alltag integriert, dies könnte zu höherer Akzeptanz in der Bevölkerung führen. Dies sieht SPD-Politiker Arlt ganz genauso – ein allgemeiner Dienst könne dazu beitragen, "mehr demokratische Werte zu vermitteln".

    Die Bundeswehr versuche doch seit Jahren, ihr Image zu verbessern, sagt hingegen Daniel Lücking. Bereits heute sei die Bundeswehr immer präsenter, etwa durch Uniformen im öffentlichen Raum, aber auch öffentlichen Gelöbnissen und Aufmärschen bis hin zu Pop-Up-Stores zur Rekrutierung. “Das sind meiner Meinung nach ziemlich verzweifelte Versuche”, sagt er: "Was soll das bringen?" Er als Veteran möchte jedenfalls keine Uniformen in der Öffentlichkeit sehen, so Lücking, und spricht sich auch klar dagegen aus, dass sich ein militärisches Bild in der Öffentlichkeit normalisiert.

    Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine sprach Bundeskanzler Olaf Scholz von einer Zeitenwende und versprach eine deutlich bessere Ausstattung der Bundeswehr. Doch konkret passiert ist seitdem wenig. Wie einsatzfähig ist die Bundeswehr überhaupt? Wie hat sich das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Armee gewandelt? Und wie sicher sind wir in Deutschland vor einer Ausweitung des Krieges? Das diskutieren in der Münchner Runde am Mittwoch, 22. Februar um 20:15 Uhr u.a.: Stephan Bierling (Politikwissenschaftler) und Alexander Dobrindt (CSU-Landesgruppenchef) .

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