2021 starben allein in Bayern 49 Frauen an der Gewalt eines Mannes. Die Zahlen für das Jahr 2022 liegen noch nicht vor.
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Symbolbild. 2021 starben allein in Bayern 49 Frauen an der Gewalt eines Mannes. Die Zahlen für das Jahr 2022 liegen noch nicht vor.

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Täter frühzeitig stoppen: Wie Femizide verhindert werden könnten

2021 starben in Bayern 49 Frauen an der Gewalt eines Mannes. Die Rede ist von Femiziden – von Morden an Frauen, weil sie Frauen sind. Experten fordern, die Politik müsse potenzielle Opfer besser schützen. Erste Ansätze gibt es.

Martina steht im Juni 2022 vor dem Amtsgericht Darmstadt. Gleich wird sie hier ihrem Ex-Freund gegenüberstehen. Er hat Martina brutal zusammengeschlagen. Nun ist sie als Zeugin geladen.

Ihm wieder ins Gesicht sehen zu müssen, sei das Schlimmste an diesem Tag. Die Angst komme wieder hoch. Zwei Jahre zuvor war ihr Freund ausgerastet, schildert sie. Sie war erkältet, lag auf der Couch. Als sie ihn bat, sie schlafen zu lassen, sei die Situation eskaliert. Er habe sie mit Faustschlägen traktiert und ihr dadurch die Nase gebrochen. Anschließend habe er ihren Kopf gegen das Keramikwaschbecken im Bad "geklatscht", berichtet Martina. Mit letzter Kraft gelang es ihr zu fliehen. Doch längst nicht alle Frauen überleben die Gewalt in Partnerschaften. 2021 starben allein in Bayern 49 Frauen durch die Gewalt eines Mannes. Die Zahlen für das Jahr 2022 liegen noch nicht vor.

Strafverteidigerin über Femizide: "Die schlimmsten Gewaltverbrechen"

Femizide sind die schlimmsten Gewaltverbrechen, sagt die Münchner Strafverteidigerin Antje Brandes mit Blick auf Verfahren, an denen sie beteiligt ist. Bei sechs Femiziden wurde sie als Anwältin hinzugezogen. Sie findet: Oft werden Täter zu mild bestraft, kämen etwa wegen guter Führung zu früh frei.

Ohnehin sähen es Gerichte häufig nur als erwiesen an, dass es sich um Totschlag handelt, nicht um Mord. Denn: Mordmerkmale wie niedere Beweggründe können mitunter nur schwer nachgewiesen werden. Die Tat wird dann nicht als Mord, sondern als Totschlag eingestuft. Höchststrafe in der Regel: fünfzehn Jahre Haft und nicht lebenslang wie bei Mord.

Gewalt folgt oft ähnlichem Muster

Die Gewalt gegen Frauen bis hin zum Femizid folgt oft einem ganz ähnlichen Muster. Das hat Monika Schröttle erforscht. Die Soziologin beschäftigt sich seit 30 Jahren mit dem Thema. Sie sagt, es gehe den Männern oft darum, die Frau relativ schnell in eine enge, umklammernde Beziehung zu bringen.

Solche Beziehungen beginnen häufig "romantisch", beobachtet die Wissenschaftlerin: "Es ist so, dass die Frauen oft das Gefühl haben, das ist jetzt der Mann fürs Leben: Er legt mir Rosen aufs Bett, er bringt mir Kaffee, er macht alles, was auch der Traummann aus einem Film täte." Frauen hielten an solchen Beziehungen dann lange fest. In der Annahme, es könne doch auch so toll sein mit dem Partner, auch wenn dieser versuche, die Frau mehr und mehr zu kontrollieren.

Auch bei Martina aus der Nähe von Darmstadt war das so. Ihr Ex-Freund habe sie drei Monate lang "in den Himmel gehoben" und so getan, als würde er sie abgöttisch lieben, erinnert sich Martina. Erst danach habe er sie anders behandelt.

Besonders heikel in derartigen Partnerschaften seien Trennungen, sagt Monika Schröttle. Dann eskaliere mitunter die Gewalt.

München denkt über Lösungen nach

Um Femizide zu verhindern, hat sich in München eine Arbeitsgruppe zusammengefunden. Mit dabei: Wissenschaft, Justiz, Polizei und Frauen-Hilfsorganisationen. Die Arbeitsgruppe will noch in diesem Jahr "Fallkonferenzen" einführen. In diesen sollen Fälle, von denen die Polizei Kenntnis hat, von den unterschiedlichen Fachleuten besprochen werden.

Basis können etwa Hinweise von Nachbarn sein, die mutmaßliche Gewalttaten an die Behörden melden. Ziel sei es, in Absprache mit potenziellen Opfern zu überlegen, wie man diese bestmöglichst schützen kann – etwa durch einen Umzug in eine andere Stadt, sagt Jürgen Schmid. Schmid zählt zu der Münchner Arbeitsgruppe. Er war 20 Jahre in München Familienrichter.

Modell bereits erfolgreich

In Rheinland-Pfalz arbeiten Behörden seit mehreren Jahren erfolgreich mit solchen Fallkonferenzen. Eine Forschergruppe der Uni Koblenz-Landau hat 2019 mehr als dreihundert Fälle des Polizeipräsidiums Rheinpfalz untersucht und herausgefunden: Achtzig Prozent der Frauen konnten vor einer Wiederholungstat beschützt werden, wenn ihr Fall in einer Fallkonferenz besprochen wurde.

Martina, die wir ans Darmstädter Amtsgericht begleitet haben, möchte mit ihrer Erzählung anderen Frauen Mut machen, sich Hilfe zu holen. Ihr Ex-Freund wurde nach einem Geständnis wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt.

Mehr zu diesem Thema hören Sie heute, am 8.3.2022, um 12:17 Uhr in der Sendung Funkstreifzug im Radioprogramm von BR24. Den Funkstreifzug gibt es auch als Podcast zum Nachhören und Abonnieren. Zum Beispiel in der ARD Audiothek. Der TV-Sender Arte zeigt heute um 19:40 Uhr die Reportage "Sie sollte sterben - Was tun EU-Länder gegen Frauenmorde?". Diese findet sich anschließend auch in der Arte- und der ARD-Mediathek. Der BR strahlt die Reportage am 15.3. in der Sendereihe DokThema aus.

Sollten Sie selbst von Gewalt betroffen sein: Die Hilfetelefone "Gewalt gegen Frauen" und "Gewalt an Männern" beraten kostenfrei und anonym. Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" erreichen Sie unter 08000/116016, das Hilfetelefon "Gewalt an Männern" unter 0800/123 9900.

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