Dass Brigitte Heinisch einmal eine zentrale Rolle beim besseren Schutz von Whistleblowern spielen wird, ist Anfang der 2000er Jahre nicht abzusehen. Damals arbeitet sie als Pflegerin in einem Berliner Altenheim. Was sie dort erlebt, belastet sie enorm.
Pflegerin prangert "menschenunwürdige" Zustände an
Für etwa 40 Personen seien nur zwei Pflegerinnen zuständig gewesen, erinnert sich Brigitte Heinisch. Dieser akute Personalmangel führt dazu, dass hilfsbedürftigen älteren Menschen die Windeln nicht gewechselt werden können. Außerdem werden die Bewohner nicht ausreichend mit Wasser versorgt und dehydrieren. "Menschenunwürdig" nennt Brigitte Heinisch die Zustände rückblickend. Sie prangert die Missstände damals zunächst intern an und stellt dann auch eine Strafanzeige. Außerdem schildert sie gegenüber Journalistinnen und Journalisten, was sie erlebt hat:
"Die Öffentlichkeit muss davon erfahren. Damit auch in der Gesellschaft Diskussionen passieren und damit sich Dinge ändern." Brigitte Heinisch, Whistleblowerin
Whistleblower als "Frühwarnsystem"
Dass Brigitte Heinisch so öffentlich spricht, hat negative Konsequenzen für sie. Unter anderem deswegen wird ihr vom Pflegeheimbetreiber gekündigt. Brigitte Heinisch will das nicht auf sich sitzen lassen und zieht dagegen vor Gericht. Sie wird eine der bekanntesten Whistleblowerinnen im deutschen Pflege-Bereich.
Übersetzt aus dem Englischen, bedeutet der Begriff etwa "derjenige, der die Pfeife bläst" und damit aufmerksam macht auf etwas. Whistleblower gelten damit als Frühwarnsystem für Missstände in Unternehmen oder der Gesellschaft.
Gleichzeitig sehen viele in Deutschland solche Hinweisgeber besonders skeptisch. Der Kommunikationswissenschaftler Johannes Ludwig forscht seit Jahren zum Thema Whistleblowing. Er vermutet da auch einen historischen Grund: "Wir hatten im Dritten Reich das System der Gestapo. Die Gestapo hat sich immer auf Denunzianten verlassen. In der ehemaligen DDR war es die Stasi, die mit einer Schar von inoffiziellen Mitarbeitern auf Denunziantentum gesetzt hat." Diese Erinnerung wirke bei vielen bis heute nach, ist Ludwig überzeugt.
Zwischen Anerkennung und Ablehnung
Diese Vorurteile spürt auch Altenpflegerin Brigitte Heinisch. 2007 bekommt sie zwar einen Whistleblower-Preis für ihre Zivilcourage und ihr Engagement. Zur selben Zeit etwa bestätigen aber Arbeitsgerichte, dass die Kündigungen wirksam sind. Brigitte Heinisch wehrt sich und klagt weiter. Aber da wird ein Widerspruch deutlich – auf der einen Seite Anerkennung, auf der anderen Seite Mobbing am Arbeitsplatz, Jobverlust und teure Klagen.
Fest steht, ohne die Hinweise von Insidern wie Brigitte Heinisch würden manche Missstände nicht aufgedeckt. Die rechtliche Lage sei allerdings schwierig in Deutschland, erklärt Verena Nierle. Sie leitet die Redaktion BR Recherche/BR Data beim Bayerischen Rundfunk. In Deutschland habe die Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber einen sehr hohen Stellenwert, so Verena Nierle. Und das sei ein weiterer Grund, warum es Whistleblower hierzulande arbeitsrechtlich und strafrechtlich besonders schwer haben.
Neue EU-Richtlinie wird jetzt auch in Deutschland umgesetzt
Im Herbst 2019 wurde dann eine EU-Whistleblower-Richtlinie verabschiedet. Diese soll Menschen besser schützen, die sich trauen, Hinweise zu geben auf gefährliche Situationen, unhaltbare Zustände oder anderes, das – wie es heißt – im öffentlichen Interesse ist.
Die gelernte Altenpflegerin Brigitte Heinisch hat einen großen Anteil daran, dass das Thema auf europäischer Ebene angekommen ist. Denn sie ist im Jahr 2011 schließlich vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen, um sich gegen Kündigungen zu wehren. Dort hat sie Recht bekommen. Der Whistleblowing-Experte Johannes Ludwig nennt das ein "Meilenstein-Urteil". Denn der Gerichtshof hat entschieden - kurz zusammengefasst - dass Whistleblowing zum einen nützlich ist für die Gesellschaft und zum anderen auch unter die Meinungsfreiheit fällt. Auf dieser Basis wurde dann die EU-Whistleblower-Richtlinie beschlossen. Bis Ende 2021 sollte die eigentlich in nationales Recht überführt sein. Deutschland hat diese Frist verstreichen lassen.
- Zum Artikel: "EU-Kommission will Whistleblower besser schützen"
Gesetzentwurf von Ampel-Koalition auf den Weg gebracht
Am heutigen Mittwoch brachte das Bundeskabinett nun in Berlin einen Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) auf den Weg. Darin heißt es, dass Whistleblower derzeit ein "erhebliches Risiko" eingehen, "wenn sie einen Rechtsverstoß an externe Stellen melden". Das Regelwerk solle nun "Rechtsklarheit" darüber schaffen, "wann und durch welche Vorgaben" Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber künftig geschützt sind.
Konkret sieht der Regierungsentwurf vor, dass "Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit" Informationen über Verstöße erlangt haben, diese "an die nach diesem Gesetz vorgesehenen Meldestellen melden oder offenlegen". Es handelt sich dabei um Verstöße, die etwa straf- oder bußgeldbewährt sind oder gegen europäisches Recht verstoßen. Die Hinweisgeber können sich dabei entweder an interne Meldestellen - zum Beispiel in Betrieben und Behörden - oder an externe Meldestellen des Bundes und der Länder wenden.
Wenden sich Hinweisgeber wiederum über soziale Netzwerke oder die Medien an die Öffentlichkeit, sind sie nur "in bestimmten Fällen geschützt", wie es in der Begründung des Regelwerks heißt. Das ist etwa dann der Fall, wenn "eine externe Meldung an die für diese Meldung zuständige Behörde fruchtlos geblieben ist" oder die "Gefahr irreversibler Schäden" besteht.
Kritik von Experten
Grundsätzlich loben Experten wie David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) die Tatsache, dass es nun mehr rechtliche Sicherheit für Hinweisgeber geben wird in Deutschland. Aber er sieht auch mehrere Kritikpunkte. Zum Beispiel bemängelt der Jurist, dass Missstände, die nicht gegen Rechtsvorschriften verstoßen, nicht erfasst sind. Transparency Deutschland kritisiert zusätzlich, dass nicht-anonyme Meldungen Vorrang hätten vor anonymen Hinweisen, unabhängig von der Dringlichkeit. Dies mute "seltsam an", heißt es. Kritik gibt es auch am Umgang mit Geheimdiensten oder Verschlusssachen, die Stempel wie „Geheim“ oder auch „nur für den Dienstgebrauch“ tragen: Diese sind weitgehend ausgenommen. Das Fazit von David Werdermann von der GFF deshalb: „Ein deutscher Edward Snowden wäre ganz klar von dem Gesetzentwurf nicht erfasst.“ Snowden hatte im Jahr 2013 Informationen über die umfassenden Spionagepraktiken der US-Geheimdienste an Journalisten weitergegeben.
Whistleblower-Schutz bisher nur in wenigen Staaten
Bislang haben erst zehn EU-Staaten die Whistleblower-Richtlinie umgesetzt. Und Brigitte Heinisch ist generell skeptisch, dass die geplanten Gesetze Hinweisgeberinnen wie ihr helfen können. Sie vermutet, dass eine gesetzliche Regelung für Whistleblower neue juristische Hürden bringen könnte. "Man hat da die Möglichkeit zu entscheiden, welches Whistleblowing schützen wir und welches nicht." Brigitte Heinisch fürchtet, dass der Schutz zu selektiv ausgestaltet wird. Sie ist sogar froh, dass es noch kein Gesetz gab, als sie an die Öffentlichkeit gegangen ist.
"Würde nochmal so handeln"
Gleichzeitig betont Brigitte Heinisch, dass sie sich wieder genauso verhalten und auf die Missstände aufmerksam machen würde. "Ich werde immer auf der Seite der Benachteiligten und Unterdrückten stehen", erklärt sie. Aber mit dieser Haltung gehöre man in dieser Gesellschaft zu einer Minderheit. "Das ist nicht schön", sagt die gelernte Altenpflegerin nach einer kurzen Pause dann noch.
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