Die zwölfjährige Luise aus Freudenberg in Nordrhein-Westfalen ist laut Ermittlungen von zwei Mädchen aus ihrem Bekanntenkreis getötet worden. Die beiden strafunmündigen Verdächtigen haben die tödliche Messerattacke gestanden. Hintergründe zur Tat geben die Ermittler bislang kaum bekannt, um die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu schützen. Wie aus der Polizeistatistik hervorgeht, sind derartige Verbrechen unter Kindern äußerst selten.
Tötungsdelikte von Kindern extrem selten
Laut Polizeilicher Kriminalstatistik, die das Bundeskriminalamt auf seiner Website bereitstellt, stand im Jahr 2021 ein einziges Kind unter 14 Jahren unter dem Tatverdacht, einen Menschen getötet zu haben. Hinzu kommen 19 jugendliche Tatverdächtige zwischen 14 und 18 Jahren. Ein Jahr zuvor gab es zwei Verdachtsfälle von Kindern unter 14 Jahren, und neun zwischen 14 und 18 Jahren. Einen Anstieg von Gewaltdelikten durch Kinder belegt die Polizeistatistik nicht. Tendenziell sind die Taten im Laufe der vergangenen 15 Jahre zurückgegangen.
Bagatellen können bei Kindern Auslöser für Gewalt sein
Der ehemalige Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Marburg, Helmut Remschmidt, bestätigt: Im Fall von Freudenberg handele es sich um ein "sehr, sehr seltenes Ereignis". Hinzu komme noch, dass es sich bei den Tatverdächtigen um Mädchen handelt. Gewaltdelikte treten bei Jungen deutlich häufiger auf als bei Mädchen, was ab der Pubertät unter anderem mit einem erhöhten Testosteronspiegel zusammenhänge, so Remschmidt. Bei Kindern können schon Bagatellen der Auslöser für Gewalt sein. Meist enden sie aber in milderen Auseinandersetzungen.
Jedes Kind ist anders
Dominik Ulbrich, Jugendsozialarbeiter beim Kinderschutz München, sagt: "Kinder sind in ihrer Entwicklung höchst unterschiedlich." Ab welchem Alter ein Kind genau weiß, was es da tut, könne man nicht pauschal sagen. Laut Kinderpsychiater Helmut Remschmidt aber gilt generell: Je jünger das Kind, desto weniger ist es sich der Tragweite seines Handelns bewusst. Gewalt durch Kinder funktioniere oft nach dem Denkzettel-Prinzip, so Remschmidt. Kinder wollen jemandem einen Denkzettel verpassen - notfalls mit Gewalt.
Kinderpsychiater hält Gesetz zur Strafmündigkeit angemessen
Von der Diskussion, das Mindestalter der Strafmündigkeit abzusenken, hält Helmut Remschmidt nicht viel. "Abschreckungen bewirken generell wenig", sagt der Kinder- und Jugendpsychiater. Mit dem aktuellen Gesetz versuche man, der Entwicklung der Kinder Rechnung zu tragen. Erst ab der Pubertät sei abstraktes Denken möglich. Dieses führe dann wiederum zu Wertvorstellungen wie der Idee der Gerechtigkeit. In Deutschland gelten Kinder unter 14 Jahren deshalb als strafunmündig. Sie dürfen weder ins Gefängnis noch in U-Haft kommen.
"Mord oder Totschlag kann man nicht voraussehen"
Eltern und Lehrern rät Helmut Remschmidt, aufmerksam zu sein, wenn Kinder frühzeitig gewalttätig werden. "Mord oder Totschlag kann man nicht voraussehen", stellt der Psychiater klar. Die meisten Tötungsdelikte in der Altersgruppe seien nicht geplant, sondern entstünden aus der Situation heraus, so Kinderpsychiater Remschmidt. Dem stimmt auch Jugendsozialarbeiter Dominik Ulbrich zu. Es sei schwierig, Vorboten für derartige Gewaltverbrechen zu erkennen. Dennoch gebe es Anzeichen, die in eine gefährliche Richtung zeigen. Oft handele es sich um Kinder, die sich unemotional verhalten und schon im frühen Kindesalter mit Straftaten beginnen - etwa Tiere quälen, mehrfache Brandstiftung oder Diebstähle und Einbrüche begehen.
Bei Auffälligkeiten das Gespräch suchen
Eltern und Lehrer sollten generell nah an den Kindern dran sein, um etwaige Auffälligkeiten - oftmals Kleinigkeiten - bemerken zu können, erklärt Dominik Ulbrich: "Wenn ich Dinge wahrnehme, bei denen ich ein schlechtes Bauchgefühl habe, ist es immer ratsam, das Gespräch zu suchen." Der Sozialarbeiter empfiehlt, sich an die Schule oder den Kindergarten zu wenden. Auch das zuständige Jugendamt könne weiterhelfen. Zudem gebe es viele Fachstellen: Erziehungs- und Jugendberatungsstellen und Jugendzentren.

Im Kondolenzbuch für die getötete Luise in der evangelischen Kirche von Freudenberg bekunden Trauerende ihre Fassungslosigkeit über die Tat.
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