Eine Pflegerin hilft einer Seniorin beim Waschen
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Wer Pflege braucht, wartet oft lange auf einen Termin zur Begutachtung

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Wenn das Warten auf den Pflegegrad teuer wird

Wer pflegebedürftig ist, kann eine Begutachtung beantragen und auf Pflegegeld hoffen. Betroffene warten jedoch teilweise Monate auf Termine. Denn es fehlen Gutachter. Pflegeleistungen müssen sie in dieser Zeit selbst finanzieren.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Getrud Maier war bis zum vergangenen Winter nicht sonderlich krank. Doch dann ging es der 81-jährigen Münchnerin, die eigentlich anders heißt, plötzlich immer schlechter. "Ich hatte einen kleinen Schlaganfall“, erzählt sie. Dazu kommen Infektionskrankheiten, die Getrud Maier immer weiter schwächen. Sie kann nicht mehr stehen, braucht Hilfe beim Anziehen und Waschen. Ihr Ehemann kümmert sich um vieles, aber alleine kann er die Versorgung seiner Frau nicht übernehmen. Daher hat das Ehepaar einen ambulanten Pflegedienst beauftragt.

Familie zahlt derzeit Großteil der Pflegekosten selbst

Schon das Personal im Krankenhaus hat erkannt, dass es alleine nicht mehr gehen wird und hat einen vorläufigen Pflegegrad für Getrud Maier beantragt. Von den fünf Pflegegraden, die es gibt, ist die 81-Jährige in den zweitniedrigsten eingestuft worden. Das heißt, das Ehepaar bekommt 724 Euro pro Monat als sogenannte Sachleistung. Die drei Hausbesuche, die der Pflegedienst pro Tag absolviert, kosten aber rund das Dreifache. Den Großteil der Pflegekosten muss das Ehepaar selbst finanzieren. "Ich habe jetzt eine Rechnung gekriegt und muss für einen Monat 1.400 Euro zahlen“, sagt Werner Maier. Deswegen hat die Familie eine weitere Pflegebegutachtung beantragt, in der Hoffnung, dass Getrud Maier einen höheren Pflegegrad erhält. Ein erster Termin, den der Medizinische Dienst angeboten hatte, kam nicht zustande, weil die 81-Jährige erneut ins Krankenhaus musste. Versuche, einen Ersatztermin zu bekommen, scheiterten. Und so wartet das Ehepaar bereits mehrere Monate auf eine Pflegebegutachtung durch den Medizinischen Dienst.

Mehr Anträge, zu wenig Personal

Der Medizinische Dienst Bayern räumt ein, dass es Probleme bei der Terminvergabe für Pflegebegutachtungen gibt. Marianna Hanke-Ebersoll, die dort für den Bereich Pflege zuständig ist, erklärt, dass alles getan werde, um die gesetzlich vorgeschriebenen Fristen einzuhalten. So muss nach einem Erst-Antrag eigentlich innerhalb von 20 Arbeitstagen eine Begutachtung stattfinden, nach fünf weiteren Arbeitstagen ein Bescheid der Pflegekasse erteilt sein. Diese Ziele würden aber immer wieder verfehlt, denn es gebe zu viele Anträge. Die Zahl der Anträge auf Leistungen der Pflegekassen lag im Januar in Bayern um rund ein Viertel höher als ein Jahr zuvor. "Wir gehen davon aus, dass auch in den nächsten Jahren und Monaten die Anträge weiter steigen“, sagt Marianna Hanke-Ebersoll. Gleichzeitig hat der Medizinische Dienst große Probleme, Pflegefachkräfte für sich zu gewinnen, die Gutachten erstellen können.

Zeitsparende und günstige Alternative

Pflegegutachten zu erstellen, sei nicht nur fachlich eine Herausforderung, sondern auch zeitaufwändig. Denn die Hausbesuche seien oft mit langen Fahrtzeiten verbunden, erklärt Pflege-Bereichsleiterin Hanke-Ebersoll. Dabei habe sich in Pandemiezeiten gezeigt, dass es auch anders geht. Nämlich mit strukturierten Telefoninterviews oder Videobegutachtungen. Marianna Hanke-Ebersoll ist sich sicher: Wenn sich die Zeit, die auf der Straße bleibt, in Telefoninterviews oder Videobegutachtung investieren ließe, könnten sehr viel mehr Anträge bearbeitet werden. Doch das ist derzeit nicht mehr möglich.

Begutachtungen aus der Ferne eingestellt

Vor der Pandemie mussten Begutachtungen immer per Hausbesuch stattfinden. In der Corona-Zeit hatte die Bundesregierung mit einer Ausnahmeregelung auch Telefoninterviews und Videoschalten ermöglicht. Nach dem Ende der Pandemie wurde die Ausnahmeregelung jedoch wieder aufgehoben. Das Bundesgesundheitsministerium erklärt auf BR-Anfrage, es gebe bisher keine "klaren, belastbaren pflegefachlichen und pflegewissenschaftlichen Kriterien, für welche Fallkonstellationen oder für welchen Personenkreis eine solche Begutachtungsform geeignet“ sei. Marianna Hanke-Ebersoll vom Medizinischen Dienst Bayern kann dieses Argument nicht nachvollziehen. Schließlich war genau das Praxis während der Pandemie. Der Medizinische Dienst habe außerdem Versicherte von einer unabhängigen Firma befragen lassen, wie sie die Telefonbegutachtungen während der Corona-Zeit fanden. Dabei stellte sich heraus, dass die Zufriedenheit höher lag als bei den Hausbesuchen.

VdK sieht Erstbegutachtungen per Telefon oder Video kritisch

Nicht nur der Medizinische Dienst wirbt für die Pflege-Begutachtung per Telefon, um den Mangel an Gutachtern auszugleichen. Auch der Sozialverband VdK hat Verständnis für diese Forderung. Dort sieht man ein großes Problem darin, wenn Pflegebedürftige immer länger auf einen Begutachtungs-Termin warten müssen. Vor allem dann, wenn das bedeute, dass Betroffene Pflegeleistungen vorfinanzieren müssen, wie das Ehepaar Maier aus München. Eine Begutachtung per Telefon sollte aber auf die Veränderung eines bereits erteilten Pflegegrades beschränkt bleiben, erklärt der VdK. Etwa wenn es darum geht, ob jemand von Pflegegrad zwei auf Pflegegrad drei oder vier höhergestuft wird. Eine Erstbegutachtung per Telefon hält der VdK nicht für sinnvoll. Denn der Gutachter oder die Gutachterin sollte sich vor Ort ein gesichertes Bild machen.

Warten auf Ergebnisse des Modellvorhabens

Die Bundesregierung will über die Möglichkeit von Telefonbegutachtungen erst entscheiden, wenn Ergebnisse eines Modellvorhabens vorliegen. Franziska Kuhlmann vom privaten Pflege-Dienstleister Medicproof, der Gutachten im Auftrag der Privatversicherer erstellt und mit den gleichen Personalproblemen zu kämpfen hat, versteht das nicht. Es seien während Corona ja schon Hunderttausende telefonische Begutachtungen durchgeführt worden. Wozu nun ein weiteres Modellvorhaben, fragt sie sich. Marianna Hanke-Ebersoll vom Medizinischen Dienst Bayern stimmt zu. Eine solche Prüfung könnte man aufgrund der Erfahrungen während der Pandemie jetzt schon abschließen, findet sie. "Wir reden hier von ein bis zwei Jahren Verzug, und das ist schlicht zu spät“.

Wartezeiten bleiben vorerst

Denn eines lässt sich jetzt schon sicher sagen: Die Medizinischen Dienste werden auch in den nächsten Monaten und Jahren nicht das nötige Personal finden, um Begutachtungen innerhalb der vorgegebenen Frist persönlich und vor Ort durchzuführen. Wartezeiten auf einen Termin sind so programmiert.

Das Ehepaar Maier hat inzwischen Besuch einer Gutachterin vom Medizinischen Dienst bekommen. Das Ergebnis der Begutachtung steht allerdings noch aus.

Hinweis: Mehr zur Diskussion rund um Pflegebegutachtungen per Video oder Telefon hören Sie am 24. Mai im Funkstreifzug um 12:17 Uhr im Radioprogramm von BR24. Diesen BR24 Funkstreifzug finden Sie schon jetzt als Podcast in der ARD Audiothek.

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