Özkan und Katrin sind in ganz unterschiedlichen Lebensphasen. Eines haben beide gemeinsam: Sie wissen, wie es sich anfühlt, auf Abruf zu arbeiten und am Ende des Monats zu bangen, ob das Geld reicht.
"Das Problem ist: ständig auf Abruf zu sein, hauptsächlich Spätschichten zu machen, sich aber trotzdem nichts leisten zu können - so sieht kein guter Job aus. Und das zermürbt einen natürlich dann schon mit der Zeit." Katrin, Verkäuferin
Katrin ist 33 Jahre alt und arbeitet als Verkäuferin bei einer Modekette. Nach einer Umfrage der Gewerkschaft Verdi unter Betriebsräten des Unternehmens sind über 40 Prozent der Belegschaft "auf Stundenlohnbasis" beschäftigt, wie das Jobmodell dort heißt. Özkan ist 38 Jahre alt, Vater von zwei Kindern, und arbeitet in der Logistik eines Cateringunternehmens. Seine Frau ist ebenfalls berufstätig. Mit einem Job auf Abruf Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, hält er für fast unmöglich. Für Özkan ist klar, dass Arbeit auf Abruf abgeschafft werden muss.
"Ich finde, dieses System muss weg von der Bildfläche." Özkan, Familienvater
Arbeit auf Abruf bedeutet: Wann und wie oft die Beschäftigten eine Schicht bekommen, hängt davon ab, wie sich der Bedarf in ihrem Betrieb entwickelt. Laut Gesetz müssen mindestens zehn Stunden pro Woche zusammenkommen. Was darüber hinausgeht, wird flexibel gehandhabt - je nach Auftragslage oder Kundenandrang.
Arbeit auf Abruf: Vorteile liegen bei Arbeitgebern
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung geht davon aus, dass bundesweit rund eineinhalb Millionen Arbeitnehmer auf Abruf tätig sind. Ihre Zahl in Bayern schätzt das Institut auf eine Viertelmillion. Von den befragten Abrufkräften hat die Hälfte in der DIW-Studie angegeben, Vollzeit zu arbeiten. Das spricht gegen die Vermutung, es handle sich überwiegend um Gelegenheitsjobber. Besonders verbreitet ist Arbeit auf Abruf im Gastgewerbe, in der Verkehrsbranche und im Einzelhandel. Arbeitsmarktexperte Karl Brenke vom DIW sieht durchaus Vorteile in dem Jobmodell - nur eben nicht für Arbeitnehmer:
"Für den Unternehmer ist das auf jeden Fall ein sinnvolles Konzept. Er spart Geld dadurch, dass er die Arbeitskräfte praktisch ohne Leerlauf einsetzen kann. Für den Beschäftigten dagegen ist es eher von Nachteil, weil er immer verfügbar sein muss. Das heißt, er kann seine Freizeit auch gar nicht so planen." Karl Brenke, Arbeitsmarktexperte
Wer auf Abruf arbeitet, weiß zudem nie, ob am Ende des Monats genügend Geld aufs Konto kommt. "Man macht sich als Familienvater ständig Sorgen, ob man genug Termine bekommt, ob man die Festkosten bezahlen kann", erinnert sich Özkan. Er ist inzwischen regulär angestellt und denkt an seine Zeit auf Abruf mit gemischten Gefühlen zurück. Der Verdienst sei okay gewesen, aber die Unsicherheit stressig. Und noch etwas hat ihn gestört:
"Man hat nicht die Möglichkeit, nein zu sagen. Das ist total wichtig für einen Menschen, auch mal nein zu sagen. Aber das kann man als Abrufer nicht." Özkan, hat jahrelang auf Abruf gearbeitet
Ständige Verfügbarkeit und die Angst nein zu sagen
Arbeitnehmer verpflichten sich in diesem Beschäftigungsmodell grundsätzlich dazu, verfügbar zu sein. Das zeigt ein Blick ins Teilzeit- und Befristungsgesetz, das einen eigenen Paragrafen für Arbeit auf Abruf enthält. Das Gesetz sieht auch vor, dass die Arbeitgeber einen Einsatz mindestens vier Tage im Voraus ankündigen müssen. Allzu große Härten für die Mitarbeiter sollen so vermieden werden. Dass diese Schutzvorschrift immer eingehalten wird, kann Özkan aber nicht bestätigen.
"Es gab bei mir Zeiten - besonders wenn ich an die Zeit als Fahrer denke - dass ich um fünf Uhr morgens angerufen worden bin, ob ich zur Schicht kommen kann. Als ich nachgefragt habe: Wann soll ich denn da sein?, war die Antwort: ja jetzt!" Özkan, arbeitet bei einem Cateringunternehmen
Ein Verstoß gegen die gesetzliche Ankündigungsfrist? Özkans Arbeitgeber sieht das nicht so. Auf Anfrage teilt das Unternehmen mit, die Mitarbeiter vier Tage im Voraus zu informieren. "Alle anderen Einsätze basieren ausschließlich auf Freiwilligkeit", heißt es in der Stellungnahme.
Aus Arbeitnehmer-Sicht ist es mit der Freiwilligkeit aber so eine Sache. Schließlich sind die Beschäftigten auf das Geld angewiesen - und treten unter Umständen ihren Dienst an, selbst wenn die Ankündigungsfrist von vier Tagen nicht eingehalten ist.
"Diese Regelung ist ja, wenn man möglichst viel arbeiten will, nichts, was den Arbeitnehmer in irgendeiner Form schützt, sondern das Gegenteil ist der Fall. Es ist vielmehr so: Da wird ein Arbeitnehmer angerufen und es heißt: Kannst du morgen kommen? Und der Arbeitnehmer will ja morgen kommen. Der will ja am nächsten Tag wieder Geld verdienen." Hans-Christian Hotz, Arbeitsrechtler
Eine Schutzklausel, die ins Leere läuft. Dass die Ankündigungsfrist in vielen Betrieben oft keine Rolle spielt - das zeigen auch Daten, die das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erhoben hat. Danach wird im Schnitt jede dritte Abrufkraft erst am Tag des Einsatzes über eine anstehende Schicht informiert.
Brossardt: Arbeit auf Abruf für Unternehmen unverzichtbar
Aus Sicht der Unternehmen sind flexible Arbeitszeitmodelle nötig. Das macht Bertram Brossardt deutlich, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Er bezeichnet Arbeit auf Abruf als unersetzbar - gerade in Branchen wie dem Einzelhandel und der Gastronomie.
"Es gibt Branchen,in denen Dienstleistungen kurzfristig sehr stark abgerufen werden vom Kunden. Der Kunde entscheidet es am Ende und dann muss flexibel durch das Unternehmen reagiert werden können. Deswegen braucht man Arbeit auf Abruf." Bertram Brossardt, Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft
Das Bundesarbeitsministerium hat das Thema im Blick. Missbrauch werde man nicht hinnehmen, heißt es aus dem bisher SPD-geführten Haus. Eine Ministeriumssprecherin weist darauf hin, dass die Prüfung etwaiger Defizite noch andauere. Ob sich die neue Bundesregierung der Sache annimmt, wird wohl von ihrer Zusammensetzung abhängen. Die Gewerkschaften fordern eine "gesetzliche Klarstellung". Der DGB Bayern spricht von einer Arbeitsform, die nicht existenzsichernd sei und das wirtschaftliche Risiko der Betriebe auf die Beschäftigen verlagere.