Urteil in Karlsruhe
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Urteil in Karlsruhe

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Was Karlsruhe am bayerischen Verfassungsschutzgesetz beanstandet

Der Verfassungsschutz darf nicht, was die Polizei darf, und er muss Grundrechte beachten: Karlsruhe hat Bayerns Verfassungsschutzgesetz in Teilen beanstandet. Was nun geändert werden muss.

Das Bundesverfassungsgericht hat das bayerische Verfassungsschutzgesetz für teilweise verfassungswidrig erklärt und in einigen Bereichen Klarstellungen gefordert.

Deutliche Worte des Gerichtspräsidenten

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth stellte gleich zu Anfang der Urteilsverkündung klar, dass Polizei und Verfassungsschutz unterschiedliche Aufgaben hätten. "Verfassungsschutzbehörden nehmen nach dem geltenden Recht spezifische Aufgaben der Beobachtung und Vorfeldaufklärung zum Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter wahr und verfügen dabei nicht wie Polizeibehörden über operative Anschlussbefugnisse", betonte Harbarth.

Auch der Verfassungsschutz habe die Grundrechte zu beachten, und das sei im bisherigen bayerischen Gesetz für den Verfassungsschutz nicht klar genug geregelt: "Je höher das Eingriffsgewicht der Überwachungsmaßnahme ist, umso dringender muss das Beobachtungsbedürfnis sein."

Wohnraumüberwachung nur zur Gefahrenabwehr

Das Verfassungsgericht in Karlsruhe beanstandete ganz wesentliche Passagen - zum Beispiel bei der Wohnraumüberwachung. Filmen und Abhören in Wohnungen ist nach dem Grundgesetz nur erlaubt, um Gefahren abzuwehren. Das stehe so nicht ausdrücklich im bayerischen Gesetz drin, monierten die Verfassungsrichter. Auch darf der Verfassungsschutz nur abhören, wenn die Polizei das nicht rechtzeitig schafft.

Großes Problem daneben: Dass nicht deutlich genug der Intimbereich von Personen, das Private geschützt werde - der Bereich, in dem der Staat nichts zu suchen habe. Wenn beispielsweise ein Mitschnitt aus einer Wohnung ausgewertet werden soll, muss vorher eine unabhängige Stelle prüfen, wie privat das war, was da aufgenommen wurde. Dasselbe gilt bei der Durchsuchung von Computern.

Bewegungsprofile nur in klar definierten Fällen

Bei der Ortung von Handys muss ebenfalls nachgebessert werden. Wenn von Menschen Bewegungsprofile erstellt werden sollten, sei das ein schwerer Grundrechtseingriff. Da müsse schon im Gesetz genau gesagt werden, in welchen Fällen das erlaubt sei. Außerdem brauche es auch hier eine unabhängige Stelle, die vorab kontrolliert.

Diese Kontrolle wird übrigens auch verlangt, wenn V-Leute und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Menschen beobachten. Da müsse viel genauer gesagt werden, wer in einer verfassungsfeindlichen Gruppe oder Bestrebung genau beobachtet werden darf, damit Unbeteiligte nicht ins Visier des Geheimdienstes geraten. Gerichtspräsident Harbarth stellte klar: "Besondere Anforderungen bestehen, wenn Personen in die Überwachung einbezogen werden, die nicht selbst in der Bestrebung oder für die Bestrebung tätig sind."

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Eindeutige Voraussetzungen für Datenweitergabe fehlen

Viel zu locker sind laut Verfassungsgericht auch die Regeln, wenn Informationen an andere weitergegeben werden. Einfach nur zu meinen, die andere Behörde brauche das, reiche nicht aus.

Es müsse viel genauer beschrieben werden, wann und zu welchem Zweck Daten weitergegeben werden. Und wenn die Informationen ins Ausland übermittelt werden, muss den Angaben zufolge vorher klar sein, dass dort beim Umgang mit den Daten die grundlegenden Menschenrechte beachtet werden.

Nachbesserung bis August 2023

Der Verfassungsschutz in Bayern wird also in Zukunft genauer begründen müssen, warum und wie er etwas tut. Die Staatsregierung wird außerdem einer unabhängigen Stelle Einblick in die Arbeit des Geheimdienstes geben müssen.

Der Gesetzgeber in Bayern hat bis Ende Juli nächsten Jahres Zeit, alles zu überarbeiten. Und die Landtage aller anderen Bundesländer wissen jetzt Bescheid: Sie müssen prüfen, ob sie ihren Geheimdiensten eventuell auch engere Zügel anlegen müssen.

Bayern will Vorgaben schnell umsetzen

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte an, dass Bayern die Vorgaben der Karlsruher Entscheidung schnellstmöglich umsetzen werde. "Natürlich pocht das Bundesverfassungsgericht besonders auf den Schutz aller Grundrechte. Das ist seine Aufgabe, und meine Aufgabe als Innenminister auch", sagte Herrmann der "radioWelt am Abend" auf Bayern 2.

Nach Einschätzung des Ministers setzt Karlsruhe damit neue Maßstäbe für den Verfassungsschutz in ganz Deutschland. "Ich kenne kein Gesetz, weder beim Bundesverfassungsschutz noch in den Ländern, das all den Anforderungen entspricht, die das Bundesverfassungsgericht heute formuliert hat." Diese Maßstäbe seien durchaus nachvollziehbar. "Und unabhängig davon, ob man sie jetzt alle für richtig oder nicht hält, sie sind zu beachten."

Nach Terrorangriffen hätten diverse Untersuchungsausschüsse einen intensiveren Informationsaustausch zwischen allen Sicherheitsbehörden gefordert. Das Bundesverfassungsgericht habe nun eher zusätzliche Hürden für den Austausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei geschaffen. Die Sicherheit in Bayern und Deutschland sehe er damit aber nicht gefährdet, fügte der der bayerische Innenminister hinzu.

Bereits bei Gesetzeseinführung umstritten

Das bayerische Gesetz war schon bei seiner Einführung umstritten und allein mit den Stimmen der CSU im Landtag verabschiedet worden. Bayern ging dabei weiter als andere Länder.

Innenminister Herrmann hatte die Novelle bei der Verhandlung im Dezember 2021 unter anderem mit der Notwendigkeit von besserem Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden verteidigt, die Anschläge wie den auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz 2016 verhindern sollten.

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