Die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Eva Högl fand klare Worte: Beim Material gebe es noch einiges zu tun. Die Einsatzbereitschaft läge zum Teil nur bei 50 Prozent, so die SPD-Politikerin. Der Zustand der Infrastruktur sei "nicht akzeptabel".
Ein Jahresbericht als Mängelbericht
Im Bundestag hat Högl am Freitag ihren Jahresbericht vorgestellt: 176 Seiten, auf vielen stehen Mängel. Dabei sei es gerade jetzt wichtig, dass die Bundeswehr bereit ist. "Der entsetzliche Krieg in der Ukraine verändert alles", so Högl. Die Bündnis- und Landesverteidigung werde jetzt konkret. Auch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) meint: Noch nie in der Geschichte sei es so wichtig gewesen, wehrhaft zu sein.
Sondervermögen als Nebenhaushalte
Die Bundesregierung will die Bundeswehr deswegen nun stärken – mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro. Doch was ist das eigentlich genau? Und ist es der richtige Weg?
Grundsätzlich ist ein Sondervermögen nichts Außergewöhnliches. Es bedeutet, dass der Bund neben dem regulären Bundeshaushalt einen Nebenhaushalt einrichtet, also einen zweiten Geldtopf eröffnet. Meist ist das der Fall, wenn Geld schnell und gezielt für eine klare Aufgabe eingesetzt werden soll, wie zum Beispiel bei der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer. Damals richtete der Bund ein Sondervermögen mit dem Titel "Aufbauhilfe 2021" ein. Es gibt aber auch ein Sondervermögen "Kinderbetreuungsausbau". Oder das "Bundeseisenbahnvermögen".
Grundgesetzänderung für das Sondervermögen nötig
Das Außergewöhnliche am Sondervermögen für die Bundeswehr ist, dass es im Grundgesetz verankert werden soll. "So kann die Regierung die Schuldenbremse umgehen", meint der Ökonom Peter Bofinger. Er ist ehemaliger, langjähriger Wirtschaftsweiser und Seniorprofessor für Volkswirtschaft, Geld und internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Würzburg: "Dann ist das Sondervermögen nicht verfassungswidrig."
Der Hintergrund: In Deutschland gilt die Schuldenbremse. Sie sieht vor, dass die neu aufgenommenen Schulden in einem Haushaltsjahr maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen dürfen. In Deutschland wären demnach Schulden von 15 bis 18 Milliarden Euro im Jahr möglich, schätzen Ökonomen.
Neue Schulden von 100 Milliarden Euro würden diesen Rahmen folglich deutlich sprengen. Zwar sind im Grundgesetz Ausnahmen von der Schuldenbremse in "außergewöhnlichen Notsituationen" vorgesehen. Die Bundesregierung macht von dieser Regel derzeit wegen der Corona-Pandemie auch Gebrauch. Eine langfristige Finanzierung der Bundeswehr falle allerdings nicht unter eine solche Notsituation, meint Peter Bofinger.
Bundesrechnungshof warnt vor Vernebelung
Der Bundesrechnungshof kritisiert die Aufnahme eines Sondervermögens. Zwar sei das Ziel richtig, die Bundeswehr besser auszustatten. Aber in einem Papier weist der Rechnungshof auch auf die Risiken von Sondervermögen hin. Darin heißt es: "Sondervermögen schaffen Intransparenz. Sie vernebeln Haushaltswahrheit und -klarheit." In einem staatlichen Haushalt sollten grundsätzlich Einnahmen und Ausgaben auf einen Blick erkennbar sein. Mit zahlreichen Nebenhaushalten sei das nicht möglich.
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Debatte über Prioritätensetzung
Auch von Ökonomen kommt Kritik. Friedrich Heinemann etwa, der Leiter des Forschungsbereichs "Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft" am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) meint: Zwar könne die Verankerung im Grundgesetz ein glaubwürdiges Signal sein, denn die Bundeswehr müsse "keine Angst haben, dass eine künftige Regierung ihre Finanzierung wieder streicht. Das Geld ist ihr sicher". Allerdings fragt Heinemann sich auch, wie es dann mittel- und langfristig weitergeht.
"Kommt dann in drei Jahren das nächste Sondervermögen?", fragt er: "Für den Staat gibt es viele legitime Auf- und damit Ausgaben." Friedrich Heinemann wünscht sich vielmehr eine Debatte darüber, warum und mit welcher Berechtigung der Staat neue Schulden aufnehmen könne. Ähnlich sieht das auch Peter Bofinger von der Universität Würzburg: "Wir müssen uns fragen: Was ist uns am wichtigsten?" Sei dies, die Schuldenbremse einzuhalten – oder seien dies bestimmte Investitionen in die Zukunft des Landes.
Staatsfinanzen von Sondervermögen nicht belastet
Einig sind sich beide Ökonomen, dass das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro die Staatsfinanzen nicht belaste. Deutschland habe derzeit eine Schuldenquote von circa 70 Prozent, meint Peter Bofinger.
Die Schuldenquote bezeichnet das Verhältnis zwischen Schulden und Bruttoinlandsprodukt. Dies sei aber weit von einem kritischen Level entfernt. In der EU liege der Durchschnitt bei 100 Prozent, in den USA bei 130 Prozent, in Japan sogar bei mehr als 200 Prozent. Friedrich Heinemann mahnt allerdings auch, dass Deutschland seine gute Haushaltslage nicht leichtfertig "verpulvern" solle.
Sondervermögen alleine nicht ausreichend
Dass das Sondervermögen für die Bundeswehr beschlossen wird, ist wohl sicher. Sowohl die Union als auch die Ampel-Parteien sind dafür, künftig mehr in die Bundeswehr zu investieren. Fraglich ist allerdings noch die genaue Umsetzung. So hat die Wehrbeauftragte Eva Högl am Freitag darauf verwiesen, dass zusätzlich das Vergaberecht vereinfacht und Bürokratie abgebaut werden müsste. Tatsächlich hat Deutschland bereits weltweit den siebtgrößten Wehretat. In der Vergangenheit war das Geld allerdings häufig nicht an den richtigen Stellen angekommen.
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Union und Ampel-Parteien beraten über Umsetzung
Union und Ampel-Parteien verhandeln derzeit noch. Im Gesetzentwurf der Ampel-Parteien heißt es, das Geld solle "zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit" verwendet werden. Der Union ist das nicht konkret genug. Sie will genauer definieren, was mit dem Geld finanziert werden soll. Außerdem fordert sie die Ampel-Parteien dazu auf, einen Plan vorzulegen, wie die Schulden zurückgezahlt werden.
Klar ist: Wenn die Bundesregierung das Sondervermögen einrichten will, braucht sie eine Einigung auf breiter Ebene. Denn eine Änderung des Grundgesetzes ist nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag möglich, allein hat die Ampel diese Mehrheit nicht. Und ohne Änderung des Grundgesetzes wäre das Sondervermögen verfassungswidrig.
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