EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeigte sich nach Lektüre des Sondierungspapiers sehr zufrieden. Er sprach von einem erheblich positiven, konstruktiven und zielführenden Beitrag zur europapolitischen Debatte: "Ergo bin ich vollumfänglich zufrieden, aber glücklich bin ich in der Politik nie", so Juncker.
Grund zu guter Laune für französischen Präsidenten Macron
Mit einer möglichen "Jamaika-Koalition" wurde Brüssel nie so richtig warm. Die GroKo-Sondierer hingegen senden sehr viel EU-freundlichere Signale aus als die schließlich gescheiterten Schwarz-Gelb-Grünen Verhandler es je getan hatten. Und auch wenn in dem Papier noch sehr viel offen und vage bleibt – aus Sicht des Politikexperten Bert van Roosebeke hat auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Grund zu guter Laune. Nicht nur weil CDU, CSU und SPD ganz ausdrücklich die „deutsch-französische Zusammenarbeit stärken und erneuern“ wollen:
"Es werden Öffnungen geschaffen, es sind Möglichkeiten da: Das gilt sowohl für Fragen der Währungsunion als auch der Bereiche Soziales und Arbeitsmarktpolitik." Bert van Roosebeke, Politikexperte
Will GroKo höhere Beiträge für EU-Haushalt zahlen?
Vollkommen unklar bleibt aber zunächst, was aus den Macron-Ideen eines Eurozonen-Haushalts oder eines europäischen Finanzministers wird. Erstaunlich konkret hingegen werden die potentiellen "Großkoalitionäre" mit ihrer Festlegung, dass Deutschland zu höheren Beiträgen für den EU-Haushalt bereit ist.
Der für das Budget zuständige Brüsseler Kommissar, Günther Oettinger, teilte den Satz sogleich begeistert auf Twitter. Man sei bereit zu zahlen, ohne das an irgendwelche Bedingungen zu knüpfen, wundert sich hingegen Experte van Roosebeke vom Centrum für Europäische Politik im Interview mit dem ARD-Studio Brüssel:
"Das ist durchaus überraschend. Und ist auch verhandlungstaktisch nicht unbedingt das, was man empfehlen würde." Bert van Roosebeke, Politikexperte
Union, SPD und ein Seitenhieb Richtung EU-Kommission?
Der Merkel-Satz, dass Europa sein Schicksal mehr in die eigenen Hände nehmen müsse, findet sich zwar im Sondierungs-Papier. Doch wie genau sie das außen- und sicherheitspolitisch erreichen wollen, dazu bleiben CDU,CSU und SPD schwammig: Von einer "Friedensmacht Europa" ist die Rede, auch von einer gemeinsamen Außenpolitik, aber ansonsten von nicht viel mehr. Dafür enthält das Papier noch eine klitzekleine Überraschung in Form eines Seitenhiebs aus Sicht von Experte van Roosebeke:
"Die Kommission wird dazu aufgerufen, noch stärker als bisher gegen Probleme vorzugehen, die es mit der Rechtsstaatlichkeit gibt in Polen und vielleicht bald auch in Ungarn. Das ist eine Spitze direkt gegen Polen, das muss man schon so verstehen." Bert van Roosebeke
Völlig abgesehen von dem, was drin steht, dürfte so mancher in Brüssel froh sein, dass nun überhaupt ein Berliner Papier auf dem Tisch liegt. Und sicher auch in Paris: Der französische Staatspräsident tigert schon seit geraumer Zeit ungeduldig im Elysee-Palast auf und ab in Erwartung einer Antwort auf seine hochfliegenden Pläne.
Eine längerfristige Lähmung ist das letzte, was die EU gerade jetzt gebrauchen kann. Sie hat sich bis zum Sommer die Klärung so hochbrisanter Fragen wie der Eurozonen-Reform oder des Asylsystems vorgenommen. Eine geschäftsführende Bundesregierung kann in diesen Fragen nicht ernsthaft Stellung beziehen. Da kann man in Berlin noch so oft beteuern, handlungsfähig zu sein.