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Tausende Menschen demonstrieren am 22. Juli auf dem Münchner Königsplatz unter dem Mottto "ausgehetzt"

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Warnung vor Autokraten: Demokratien sterben leise

Heute sterben Demokratien selten mit einem Knall. Öfter höhlen sie demokratisch gewählte Regierungen langsam aus – beschneiden Gerichte, Gewaltenteilung und Zivilgesellschaft. Lassen sich diese Autokraten stoppen? Von Andrea Herrmann

Sind Demokratien wie in Ungarn, in der Türkei, in den USA oder Polen in Gefahr? Folgt man den Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt, dann ist genau das der Fall. In ihrem Buch "Wie Demokratien sterben" sprechen die beiden Politologen über Ursachen und Folgen dieser Entwicklung.

Ihr Fazit: Demokratien sterben nicht immer durch militärische Gewalt, sondern eher leise an den Wahlurnen, sagte Daniel Ziblatt im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. Demokratien gingen dadurch zugrunde, dass demagogische Politiker an die Macht kommen, die die Gesellschaft spalten und sich nicht mehr an demokratische Regeln halten.

Wie Autokraten die Demokratie aushöhlen

Solche Staatsführer versuchten zunächst, die Gerichte, die Geheimdienste und die Polizei auf ihre Seite zu bekommen. Das hat man in Ungarn gesehen und in Polen. Der nächste Schritt lasse sich an der Türkei beobachten: Demagogen und Autokraten versuchen politische Gegner aus dem Weg zu räumen, indem sie sie gerichtlich verfolgen lassen und wirtschaftlich unter Druck setzen. Auch die Pressefreiheit wird untergraben.

Und schließlich - um ihre Macht langfristig zu sichern - ändern laut Ziblatt solche Staatsführer die Rechtsgrundlage etwa für Wahlen und Parteien. Dabei machten diese auch vor der Verfassung nicht halt.

Grundwerte wie das Recht auf Asyl sind die rote Linie

Für die Politologin Christiane Lemke ist spätestens dann eine rote Linie überschritten. Im Dossier Politik sagte die Professorin der Leibnitz Universität Hannover.

"Es gibt natürlich einen Bestand an Grundwerten und dazu gehört der Grundsatz, politisch Verfolgte genießen Asyl. Daran kann man nicht ruminterpretieren. Ich finde es politisch außerordentlich bedenklich, wenn an solchen Grundrechten und Grundwerten gerüttelt wird." Christiane Lemke, Politologin

Noch sei die deutsche Demokratie nicht in der Krise, darin sind sich Ziblatt und Lemke einig. Aber einige Dellen habe sie schon bekommen. Durch die AfD und die Frage, wie man mit der Partei umgeht, habe sich die Polarisierung verstärkt.

Unionsstreit: Schaden für die Demokratie?

Auch die politischen Normen, der Umgang von Politikern miteinander habe gelitten, sagt Daniel Ziblatt dem BR. Das zeige der jüngste Unionstreit in Deutschland ganz deutlich. Die Drohung der Kanzlerin mit der Richtlinienkompetenz und der nicht abgesprochene Masterplan von Innenminister Seehofer, das habe "Leitplanken verletzt".

"Wir sehen also, dass die ungeschriebenen Gesetze des politischen Systems, die lebenswichtig für eine Demokratie sind, zerfallen." Daniel Ziblatt, Buchautor

Gefahr durch Polarisierung der Gesellschaft

Ursache für den Zerfall sei vor allem eine massive Polarisierung der Gesellschaft. Den Kampf dagegen müsse neben den Parteien auch die Zivilgesellschaft führen, betonen die Politologen Ziblatt und Lemke. Es sei ein gutes Zeichen, dass viele Menschen wieder auf die Straße gehen und sich für die Demokratie stark machen.