Seit sich das Coronavirus auch in Deutschland stark verbreitet, sind Soldaten im Inland unterstützend eingesetzt - so wie hier in Gera.
Bildrechte: picture alliance / AP Photo

Seit sich das Coronavirus auch in Deutschland stark verbreitet, werden Soldaten im Inland unterstützend eingesetzt - so wie etwa hier in Gera.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Wann darf die Bundeswehr im Inneren eingesetzt werden?

Seit Beginn der Corona-Pandemie arbeiten Bundeswehr-Soldaten an verschiedenen Stellen im Inland. Was die rechtliche Basis dafür ist – und wo deren Grenzen liegen. Ein #Faktenfuchs.

In den vergangenen Monaten der Pandemie, haben Soldaten Menschen an Autobahnraststätten auf Corona getestet, in Gesundheitsämtern ausgeholfen oder italienische Bürger in deutsche Intensivstationen ausgeflogen. Doch wann darf die Bundeswehr überhaupt Aufgaben im Inneren übernehmen?

Wie hilft die Bundeswehr in der Coronakrise?

Am 19. März 2020 gab Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer bei einer Pressekonferenz in Berlin bekannt, dass die Bundeswehr den Ländern, Städten und Kommunen vermehrt Unterstützung anbieten und vorbeugend auch einen Nothilfestab einrichten wird. Wie viele Soldaten tatsächlich im Inland helfen, ändert sich täglich. Laut Bundesverteidigungsministerium halfen am 30.09.2020 insgesamt 937 Soldaten in der Corona-Krise. Sie unterstützen aktuell laut Bundeswehr vor allem medizinisches Fachpersonal und helfen bei der Nachverfolgung von Infektionsketten. Direkten Kontakt zu Patienten haben sie laut Verteidigungsministerium nicht.

Die Stiftung Wissenschaft und Politik hat untersucht, welche Rolle die Bundeswehr im Corona-Management der letzten Monate gespielt hat. Danach waren die Soldaten vor allem zur Unterstützung in Alten- und Pflegeheimen und halfen in den Gesundheitsämtern. Sie versorgten aber auch Menschen, die nach den Grenzschließungen in langen Staus an den Grenzen standen und flogen im März und April über 20 Intensivpatienten aus Italien und Frankreich zur Behandlung nach Deutschland.

Seit März dieses Jahres haben Kommunen, Städte und Länder 917 Hilfeleistungsanträge im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie an die Bundeswehr gerichtet. Das teilte das Verteidigungsministerium dem BR mit. 622 der Anträge wurden gebilligt.

Was ist die gesetzliche Grundlage für Einsätze der Bundeswehr im Inneren?

Die Aufgaben von Militär und Polizei sind in Deutschland strikt getrennt. Die Bundeswehr soll das Land nach außen verteidigen, die Polizei ist im Inland zuständig. Wann die Bundeswehr trotzdem im Inland tätig werden darf und wie, ist an verschiedenen Stellen im Grundgesetz festgehalten.

Eine Möglichkeit ist ein Einsatz im Verteidigungs- oder Spannungsfall (Art. 115a Abs. 1 und Art. 80a GG), zum Beispiel, wenn Deutschland angegriffen würde. Dann darf die Bundeswehr zivile Objekte (also alle nicht militärischen Ziele) schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung übernehmen.

Aber auch ohne Verteidigungsfall ist es, wie nun während der Corona-Pandemie, in besonderen Fällen möglich, die Bundeswehr im Inneren zu verwenden. Das Grundgesetz lässt hier drei Optionen zu. Für die erste sind die Hürden relativ gering, für die beiden anderen jedoch hoch:

1. Amtshilfe:

Im Grundgesetz heißt es: "Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe" (Art. 35 Abs. 1 GG). Zu diesen Behörden zählt die Bundeswehr ebenso wie zum Beispiel die Gesundheitsämter. Deswegen können Soldaten falls benötigt unterstützende Aufgaben übernehmen, wie zum Beispiel Infektionsketten nachverfolgen.

Wichtig ist, dass die Amtshilfe "unterhalb der Einsatzschwelle" liegen muss. Die wird nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 2013 überschritten, wenn das "Droh- und Einschüchterungspotential" der Bundeswehr ausgenutzt werden soll. Das heißt zum Beispiel, es dürfen bei der Amtshilfe keine militärischen Mittel wie Kriegswaffen eingesetzt werden.

Amtshilfe wird immer wieder geleistet, auch schon vor der Coronakrise:

  • Im Januar 2019 halfen Soldaten in Bayern, Schnee von einem Krankenhausdach zu beseitigen
  • 2015 und 2016 unterstützten sie bei der Registrierung und Unterbringung von Flüchtlingen
  • Bei der Hochwasserkatastrophe 2013 war die Bundeswehr im Einsatz, um die Folgen der Überschwemmungen einzudämmen.

2. Innerer Notstand:

Die Bundeswehr darf laut Grundgesetz (Art. 87a Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 GG) zum Schutz von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung nichtstaatlicher Gegner eingesetzt werden, wenn diese organisiert und militärisch bewaffnet sind. Allerdings gilt das nur, wenn die freiheitlich demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes gefährdet ist, das bedrohte Land die Gefahr nicht selbst bekämpfen kann oder die Kräfte von Polizei und Bundespolizei nicht ausreichen (Deutscher Bundestag 2016).

So ein Fall liegt "oberhalb der Einsatzschwelle". Das heißt, hier dürfen zum Beispiel auch militärische Mittel eingesetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht lässt solche Einsätze aber nur in äußersten Ausnahmefällen zu. Im Beschluss vom 19. Mai 2010 heißt es dazu:

"Es ist sicherzustellen, dass die Streitkräfte niemals als innenpolitisches Machtinstrument eingesetzt werden. Abgesehen von dem extremen Ausnahmefall des Staatsnotstandes, in dem nur zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer als letztes Mittel auch Kampfeinsätze der Streitkräfte im Inland zulässig sind (Art. 87a Abs. 4 GG), ist die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit Aufgabe allein der Polizei."

3. Katastrophenhilfe:

Bei Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Erdbeben oder Waldbränden sowie in besonders schweren Unglücksfällen wie Flugzeug- oder Eisenbahnunglücke oder Unfällen in Kernenergieanlagen darf die Bundeswehr die Polizeikräfte im Inland unterstützen, wenn Hilfe erforderlich ist (Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG).

In einer Entscheidung von 2006 lehnte das Bundeverfassungsgericht noch ab, dass die Bundeswehr in so einem Fall militärische Mittel einsetzen darf. Mit der Plenarentscheidung vom 3. Juli 2012 änderte sich das. Seitdem lässt das Bundesverfassungsgericht den Einsatz militärischer Mittel als "Ultima ratio" zu. Die Hürden für den Einsatz der Bundeswehr in einem solchen Fall sind aber nach wie vor sehr hoch gelegt: Es muss sich um eine "ungewöhnliche Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes" handeln.

Demonstrationen können entgegen teilweise aktuell verbreiteter Falschinformationen aus Kreisen der Kritiker der Corona-Maßnahmen keinesfalls so ein Fall sein. Das heißt: Bewaffnete Soldaten könnten nicht auf einer Demonstration eingesetzt werden. Im Beschluss des Plenums des Bundesverfassungsgerichts heißt es nämlich:

"Gefahren für Menschen und Sachen, die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen, [stellen] keinen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 GG dar, der es rechtfertigen könnte, Streitkräfte auf der Grundlage dieser Bestimmung einzusetzen."

Was trifft im Fall der Corona-Pandemie zu?

Die Unterstützung der Bundeswehr für zivile Behörden im Kampf gegen Corona zählt laut Verteidigungsministerium als Amtshilfe. Wenn Soldaten an Corona-Teststationen helfen oder mit Gesundheitsämtern Infektionsketten nachvollziehen, ist das über Art. 35 Abs. 1 des Grundgesetzes abgedeckt, bestätigt auch Matthias Herdegen, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und des Instituts für Völkerrecht an der Universität in Bonn.

"Hier geht es nicht um den klassischen Einsatz der Streitkräfte als bewaffnete Macht, sondern um eine technische Unterstützung zum Schutz der Bürger", sagt Herdegen. Amtshilfe sei als Verwaltungshilfe zu verstehen. Amtshilfe könne technisch, personell und auch logistisch sein und Behörden könnten sich sowohl auf Bundes- als auf Landesebene untereinander unterstützen.

Bildrechte: picture alliance/Oliver Dietze/dpa
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

An Teststationen unterstützen ist eine der Aufgaben, die die Bundeswehr in der Corona-Krise übernimmt. Patientenkontakt haben sie aber nicht.

Katastrophenhilfe: Bisher abgelehnt

Die Bundeswehr hat auch Hilfsanfragen abgelehnt, in mehreren Fällen auch wegen verfassungsrechtlicher Bedenken. 15 Mal beantragten Städte, Kommunen oder Länder, dass die Bundeswehr "hoheitliche Aufgaben" übernehmen solle. Das sind Aufgaben, in denen öffentliches Recht zu erfüllen ist – das tun Polizisten genauso wie andere Beamte und Sicherheitskräfte.

Aus einer Kleinen Anfrage der Partei Die Linke an das Verteidigungsministerium vom Mai gehen Beispiele für solche Anträge auf hoheitliche Aufgaben hervor. So hatte das Land Thüringen beantragt, dass die Bundeswehr Flüchtlingseinrichtungen betreibt und auch das Hausrecht ausübt. Die bayerischen Landkreise Miesbach und Weilheim-Schongau wollten, dass die Bundeswehr Lagerhallen bewacht und der Saarpfalz-Kreis beantragte, dass Soldaten den Zutritt zu einem Krankenhaus kontrollieren.

Vier solcher Anfragen hat die Bundeswehr abgelehnt, die elf weiteren Anträge wurden laut Verteidigungsministerium wieder zurückgezogen. Der Grund für die Ablehnung: So eine "koordinierte, massive Unterstützung zur Bewältigung einer einschneidenden Gefährdungslage" wäre nur über Notstandsmaßnahmen möglich, sagt der Jurist Herdegen, nicht aber als Amtshilfe.

Wie streng sind die Gesetze im Vergleich zu anderen Ländern?

Dass die Bundeswehr bei Katastrophenfällen im Inland eingesetzt werden kann, liegt an den Notstandsgesetzen. Diese wurden 1968 verabschiedet. Sechs Jahre zuvor half die Bundeswehr bei der Hamburger Flutkatastrophe, um das Leben von tausenden Menschen zu retten, aber ohne verfassungsrechtliche Grundlage für solche Einsätze. Die wurde erst mit der Notstandsgesetzgebung gelegt.

Die Verfassungsänderungen waren damals durch das historische Trauma von Militarismus und Staatsgewalt durch die nationalsozialistische Diktatur sehr umstritten. Notstandsgesetze setzen häufig demokratische Rechte außer Kraft und können zum Machtmissbrauch führen.

Heute schützt zum Beispiel die föderale Verfassung in Deutschland vor dem Missbrauch dieser Gesetze. Es gibt feste Grenzen, wie der Bund in die Befugnisse der Länder bei Schutz von öffentlicher Sicherheit und Ordnung eingreifen kann.

Andere Länder sind unbefangener beim Einsatz von Soldaten

Aus internationaler Sicht seien die Notstandsgesetze ein "spezifisch deutscher Versuch, den Einsatz der Streitkräfte einem Höchstmaß an verfassungsrechtlichen Bindungen zu unterwerfen", sagt Herdegen. Andere demokratische Staaten gingen mit dem Einsatz von Soldaten im Inneren bei Katastrophen und der Abwehr von Terrorismus viel unbefangener um. In Frankreich, Belgien oder Italien sichert das Militär zum Beispiel Großereignisse ab, bewacht Einrichtungen oder ist in der Terrorbekämpfung eingesetzt. In Deutschland übernehmen das Polizei und private Sicherheitsunternehmen.

Wie könnte es weitergehen?

Die Bundeswehr hat bereits früh in der Krise Vorbereitungen getroffen, falls in größeren Gebieten als bisher die Hilfe von Soldaten benötigt werden sollte. Ende März kündigte die Bundeswehr an, einen Nothilfestab mit vier regionalen Führungsstäben (für Süd-, Ost-, Nord- und Westdeutschland) für bis zu 15.000 Soldaten einzurichten.

Es war das erste Mal in ihrer Geschichte, dass die Bundeswehr vorbeugend ein Kontingent für Hilfsleistungen im Inland aufgestellt hat. Vorgesehen sind die Soldaten für "Absicherung und Schutz", "Unterstützung der Bevölkerung", "Ordnungs-/Verkehrsdienst", "Desinfektionsaufgaben" und "Logistik" (Details zur Aufteilung hier).

Insgesamt halten sie seitdem bis zu 32.000 Soldaten für die Corona-Unterstützung bereit: Zu den genannten 15.000 Soldaten der "Hilfeleistung Corona" kommen noch 17.000 Soldaten des Zentralen Sanitätsdienstes.

Im Einsatz sind aber - wie oben bereits genannt – nur sehr wenige. Solange die Soldaten nur in einzelnen Kommunen im Einsatz sind, sei das laut Herdegen rechtlich weiterhin als Amtshilfe einzustufen. Auch Dirk Müllmann von der Goethe-Universität Frankfurt am Main hält es rechtlich für unproblematisch, solange es sich um zeitlich begrenzte Strukturen handelt.

Wenn jedoch diese tausenden Soldaten innerhalb ihrer eigenen, neugeschaffenen Strukturen aktiv werden würden, würde es sich um eine Notstandshilfe handeln. Dafür müsste der Notstandsfall in einem Bundesland ausgerufen werden. Voraussetzung dafür ist, dass das Land nicht mehr aus eigener Kraft die Pandemie bewältigen kann.

Katastrophenhilfe für Bundesländer denkbar

Herdegen geht davon aus, dass wir uns gegenwärtig in Deutschland der "Schwelle zu einer Naturkatastrophe" nähern, bei der ein Bundesland die Unterstützung von Streitkräften anfordern kann. Unter Juristen ist man sich weitgehend einig, dass man die aktuelle Pandemie als eine Naturkatastrophe sehen kann – zum Beispiel als "Naturkatastrophe in Zeitlupe". Somit wäre Katastrophenhilfe für einzelne Länder theoretisch künftig auch möglich.

Aber könnte die Bundeswehr auch im gesamten Bundesgebiet eingesetzt werden? Das hält Herdegen für sehr unwahrscheinlich:

"Bei einer überregionalen katastrophalen Gefährdung für weite Teile des Bundesgebietes käme auch ein Einsatz der Bundeswehr zur Unterstützung der Ordnungskräfte in Betracht. Dies müsste aber die gesamte Bundesregierung beschließen. Davon sind wir glücklicherweise noch weit entfernt."

Fazit:

Aktuell unterstützen knapp 1.000 Soldaten täglich andere Behörden bei ihren Aufgaben rund um Covid-19, indem sie zum Beispiel Infektionsketten nachverfolgen. Das ist möglich aufgrund der "Amtshilfe" unter Behörden, die im Grundgesetz festgehalten ist. Dabei dürfen die Streitkräfte aber keine Waffen einsetzen.

Außerdem ist es laut Grundgesetz in zwei weiteren Fällen möglich, die Bundeswehr im Inland einzusetzen: Als Katastrophenhilfe oder im Fall eines inneren Notstands. Juristen interpretieren die Corona-Pandemie als Naturkatastrophe, womit theoretisch auch Katastrophenhilfe für Länder möglich wäre. Dann dürfte die Bundeswehr auch "hoheitliche Aufgaben" übernehmen, was sie bisher bei Anträgen von Kommunen abgelehnt hat.

"Darüber spricht Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!