Der Deutsche Bundestag ist so groß wie nie zuvor: 736 Abgeordnete sitzen im Parlament. Eigentlich sollten es 598 sein. Die größere Zahl setzt sich aus 34 Überhangmandaten zusammen, die am Ende für 104 sogenannte Ausgleichsmandate gesorgt haben. Das passiert immer dann, wenn eine Partei mehr Direktkandidaten in den Bundestag entsenden kann als ihr eigentlich über die Zweitstimme zustehen. Bisher hat davon vor allem die CSU in Bayern profitiert, aber auch die CDU und die SPD in ihren Hochburgen.
Ampelparteien: Zweitstimme ist entscheidend
Konstantin Kuhle von der FDP interpretiert das deutsche Wahlrecht so: Die Zweitstimme sei in Deutschland entscheidend. Wenn beispielsweise ein Direktkandidat aus dem Bundestag ausscheidet, rücke selbstverständlich der Listenkandidat nach. Es werde nicht etwa ein neuer Direktkandidat gewählt.
Das Kappungsmodell von SPD, Grünen und FDP sieht nun vor, dass ein Direktkandidat kein Mandat erhält, wenn seine Partei nicht ausreichend Zweitstimmen für so viele Mandate mitbringt. Diejenigen Direktkandidaten mit dem schwächsten Erststimmenergebnis würden nicht in den Bundestag einziehen. Bei der aktuellen Zusammensetzung des Bundestags würden CSU-Abgeordnete wie der ehemalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer oder Volker Ullrich aus Augsburg nicht im Parlament sitzen.
CSU wehrt sich gegen "Angriff auf das System der Wahl"
Michael Frieser ist Bundestagsabgeordneter für die CSU aus dem Wahlkreis Nürnberg-Süd. Auch er würde nach dem Entwurf der Ampel nicht mehr im Parlament vertreten sein. Frieser vermutet hinter dem Gesetzentwurf der Ampelkoalition einen "Proporzgedanken der Parteizentralen". Dieser Entwurf sei ein "Angriff auf das System der Wahl".
Frieser argumentiert, das Modell sei gegen das direkte Element der Wahl, gegen die Gleichheit und gegen die Unmittelbarkeit der Wahl. Gerade in Städten seien knappe Ergebnisse unvermeidbar, sogar gewollt, sagt Frieser. Tatsächlich könnte das geplante Wahlrecht der Ampel vor allem in umkämpften Wahlkreisen dafür sorgen, dass dort der Direktkandidat doch nicht ins Parlament einzieht.

Wahlrechtsreform (Symbolbild)
Wortwahl sorgt für Ärger
Marianne Schieder, für die SPD aus dem Wahlkreis Schwandorf in der Oberpfalz in Berlin, sitzt seit 2005 im Deutschen Bundestag. Sie sagt, bisherige Reformversuche seien stets an der CSU gescheitert. Statt sich nun konstruktiv einzubringen, spreche der Generalsekretär der CSU, Martin Huber, von "organisierter Wahlfälschung" und "Schurkenstaat". Huber solle sich dafür schämen und sich entschuldigen. Mit ihren Vorschlägen verfahre die CSU nach dem Motto "Hopfen und Malz, Gott erhalt’s!"
Wahlrecht landet womöglich vor Gericht
Der Grünen-Abgeordnete Till Steffen versicherte, die Ampel werde sich von der Union nicht aufhalten lassen. Die Union kann das Wahlrecht weder im Bundesrat noch über andere parlamentarische Wege blockieren. Aber sie kann dagegen vor Gericht ziehen, sobald das Gesetz beschlossen ist. Die Debatte am Freitagvormittag war die sogenannte erste Lesung. Nun wird der Entwurf in den Ausschüssen des Bundestags beraten, bis dann das Parlament in einer zweiten und dritten Lesung endgültig darüber abstimmt.
- Zum Artikel "Wahlrecht: Wann kommt der kleinere Bundestag?"
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