Konstantin Kuhle hat im zurückliegenden Jahr viel diskutiert. Der FDP-Fraktionsvize musste immer wieder erklären, warum im Bundestag 736 Abgeordnete sitzen, obwohl das Gesetz doch nur 598 vorsieht. Schuld sind Überhang- und Ausgleichsmandate.
Die wollen SPD, Grüne und FDP abschaffen. Im vergangenen Mai haben die Wahlrechtsfachleute der Ampel einige Vorschläge dazu gemacht. Doch ein Gesetzentwurf lässt weiter auf sich warten. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas wird langsam ungeduldig. Im Interview mit BR24 sagt sie: "Ich werde da sicherlich drücken." Anfang des Jahres müsse ein Entwurf ins Parlament.
Der Druck der SPD-Politikerin hat einen Grund: Die Wahlkreise für die Bundestagswahl 2025 müssen bald zugeschnitten werden. Kommt jetzt keine Wahlrechtsreform der Ampel, greift eine Änderung aus der letzten Legislaturperiode.
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Was bislang noch von der Großen Koalition übrig ist
Union und SPD hatten zu Zeiten von Bundeskanzlerin Angela Merkel vereinbart, die Zahl der Wahlkreise von bundesweit 299 auf 280 zu reduzieren. Das sollte einen immer größer werdenden Bundestag verhindern. Weniger Wahlkreise bedeutet auch: größere Wahlkreise. Und ein Neuzuschnitt ist für manche Abgeordnete ein Risiko: Was, wenn die eigene Hochburg plötzlich im anderen Wahlkreis liegt? Gedanken, die sich auch in der Ampel viele machen, wie der FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle BR24 bestätigt.
Nach seinen Worten gibt es in den Fraktionen Diskussionen darüber, wie der Wahlkreiszuschnitt ausfällt und wie sichergestellt werden kann, dass die Zahl der Mandate sinkt. Kuhle zeigt sich aber zuversichtlich, dass die Ampel in den nächsten Wochen in diesen Punkten weiterkommt.
CSU profitiert von Überhangmandaten
Der FDP-Politiker und seine Kollegen aus SPD und Grünen schlagen vor, dass Parteien künftig nur noch so viele Sitze im Parlament bekommen, wie ihnen nach dem Ergebnis der Zweitstimmen zusteht.
Das wäre vor allem für die CSU ein Problem. Bei der vergangenen Bundestagswahl holte sie 45 von 46 Direktmandaten in Bayern. Da sie aber nur 31,7 Prozent der Zweitstimmen im Freistaat gewann, entstanden elf Überhangmandate. Nur die CDU in Baden-Württemberg bekam noch eines mehr.
Die bundesweit insgesamt 34 Überhangmandate wurden dann durch 104 weitere Mandate ausgeglichen, damit die Mehrheitsverhältnisse nicht verzerrt werden. Drei Überhangmandate wurden laut den aktuellen Regeln nicht ausgeglichen.
Ampel will Überhangmandate abschaffen
Kommt die Reform der Ampel-Fachleute, ist Schluss mit Überhangmandaten. In Bayern würden die Wahlkreisgewinner mit den wenigsten Erststimmen leer ausgehen – vermutlich würde das vor allem CSU-Kandidaten in München und Nürnberg treffen.
Wer dann den Wahlkreis im Parlament vertritt, ist noch offen. Der ursprüngliche Plan, den Kreis über eine Ersatzstimme zuzuteilen, stößt nämlich auf großen Widerstand - in der Ampel, in der CDU und vor allem in der CSU.
Scharfe Kritik aus der CSU
Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte schon im Sommer eine Klage angekündigt. Die Pläne der Ampel-Fachleute seien klar verfassungswidrig. Und Dobrindt geht noch einen Schritt weiter: "Das ist eigentlich nahe einem Wahlbetrug mit Ansage."
FDP-Fraktionsvize Kuhle hat die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben, die Union noch mit ins Boot zu holen. Die Union müsse auf den Boden der Tatsachen ankommen. "Wenn man einen kleineren Bundestag will, dann geht das nur, wenn es weniger Abgeordnete gibt. Und das betrifft auch euch", so Kuhle mit Blick auf CDU und CSU. Eine Reform des Wahlrechts brauche eine breite Mehrheit, damit die nächste Regierung es nicht gleich wieder ändert.
Zeitdruck erhöht Chance auf Einigung
Nötig sind die Stimmen der Union aber nicht. Die Ampel könnte die Pläne auch allein durchsetzen – wenn sich SPD, Grüne und FDP einig sind. Der Zeitdruck könnte die Chance für die Reform erhöhen: Entweder die Abgeordneten stimmen den Plänen ihrer Wahlrechtsexperten jetzt zu oder die Reduzierung der Wahlkreise beginnt.
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