Sahra Wagenknecht am 25.2. in Berlin
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Sahra Wagenknecht am 25.2. in Berlin

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Wagenknecht will nicht mehr für die Linke kandidieren

Seit Langem liegt Sahra Wagenknecht in wichtigen Punkten mit ihrer Partei über Kreuz. Jetzt hat sie eine erneute Kandidatur für die Linke ausgeschlossen. Rückt damit eine Spaltung der Partei näher?

Erst ein Streit über die Flüchtlingspolitik, dann umstrittene Äußerungen in der Corona-Pandemie und zuletzt ein harter Konflikt zum Umgang mit dem russischen Regime: Sahra Wagenknecht ist immer wieder auf Distanz zur offiziellen Linie der Linken gegangen. Jetzt hat die Bundestagsabgeordnete die Konsequenz gezogen. Wie ihr Büro auf BR24-Anfrage bestätigt, will Wagenknecht nicht mehr für die Linke kandidieren.

Wagenknecht: entweder Rückzug oder "etwas Neues"

"Entweder werde ich mich nach Ablauf der Legislatur aus der Politik zurückziehen und als Publizistin und Buchautorin arbeiten", teilt die 53-Jährige mit, "oder es ergibt sich politisch etwas Neues". Damit spielt Wagenknecht auf Spekulationen an, sie plane möglicherweise die Gründung einer neuen Partei. In dieser Sache hält sich die Politikerin aber nach wie vor bedeckt.

Kein Kommentar von Parteispitze zu Wagenknecht-Ankündigung

Die Doppelspitze der Linken will sich auf BR24-Anfrage nicht zu Wagenknechts Ankündigung äußern. Co-Parteichefin Janine Wissler sagt am Rande eines Landesparteitags der hessischen Linken lediglich, das sei Wagenknechts Entscheidung: "Ich kommentiere das nicht." Deutliche Worte findet dagegen die stellvertretende Parteichefin Katina Schubert: Wagenknecht mache schon lange keine Politik mehr für die Linke, sondern arbeite auf eigene Rechnung. Und "Reisende", sagt Schubert, "soll man nicht aufhalten".

Erste Reaktionen aus der Linksfraktion

Der Chef der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, reagiert knapp auf die neue Entwicklung. Wagenknechts Schritt sei ihm seit Längerem bekannt und zu respektieren. Die Abgeordnete Zaklin Nastić hält die Entscheidung ihrer Fraktionskollegin für folgerichtig. Nastić erinnert auf Twitter an die beständige Kritik an Wagenknecht, vorgebracht von "vermeintlichen" Parteifreunden. Insofern stehe Wagenknecht "glaubwürdig zu ihren Inhalten", so Nastić.

Seit Langem Diskussion über Wagenknechts Rolle

Wagenknecht sitzt seit dem Jahr 2009 für die Linke im Bundestag. Von 2015 bis 2019 ist sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Im Laufe der Jahre entfremdet sich die Politikerin offenbar von ihrer Partei. Im zurückliegenden Bundestagswahlkampf etwa stößt sie viele in der Partei mit dem Buch "Die Selbstgerechten" vor den Kopf. Darin übt Wagenknecht scharfe Kritik an links-liberalen Bevölkerungsschichten, denen sie Heuchelei vorwirft.

Auch im Hinblick auf Einwanderungspolitik und Corona-Maßnahmen liegt sie immer wieder über Kreuz mit großen Teilen der Linken. Zuletzt eckt sie mit ihrer Haltung zum russischen Angriffskrieg an. Kritiker werfen ihr vor, die Verantwortung des Putin-Regimes für Gewalt und Zerstörung in der Ukraine zu relativieren.

Wagenknecht und Schwarzer organisieren Großdemo in Berlin

Wagenknecht weist solche Vorwürfe stets zurück und besteht darauf, sich lediglich für einen baldigen Frieden und sofortige Verhandlungen darüber einzusetzen. Zusammen mit der Publizistin Alice Schwarzer organisiert sie eine entsprechende Online-Petition, die inzwischen mehr als 730.000 Menschen unterschrieben haben. Außerdem rufen die beiden zu einer Großdemo in Berlin auf: An der Kundgebung vor einer Woche nehmen nach Angaben der Polizei 13.000 Menschen teil, die Veranstalterinnen schätzen die Teilnehmerzahl auf 50.000. Laut AfD sind allerdings auch viele ihrer Mitglieder dabei.

Kritik an Wagenknecht nach Kundgebung

Ein Umstand, der innerhalb der Linken Diskussionen auslöst. Aus Sicht von Co-Parteichefin Wissler beispielsweise hätten die Veranstalterinnen Teilnehmern vom anderen Ende des politischen Spektrums deutlich klarer sagen müssen: "Ihr habt hier nichts zu suchen!“ Es sei eindeutig, dass die Kundgebung keine Veranstaltung der Linken gewesen sei, sagt Wissler zwei Tage nach der Demo. Aus dem Umfeld von Wagenknecht ist jetzt zu hören, der Umgang der Parteiführung mit der Kundgebung habe "das Fass zum Überlaufen gebracht".

Wissler: "Kokettieren mit neuen Parteien nicht hilfreich"

Droht nun also die Spaltung? Wissler sagt dazu: "Das Kokettieren mit neuen Parteien finde ich nicht hilfreich." Ihr seien aber keine solchen Pläne bekannt. Allerdings rätselt man in Berlin seit Monaten darüber, ob Wagenknecht mit einer Gruppe von Gleichgesinnten eine eigene Partei gründen könnte. Nach Einschätzung von Meinungsforschern hätte eine solche Formation ein beachtliches Wählerpotenzial. Gleiches gilt jedoch auch für die Linke selbst – tatsächlich aber hat die Partei seit der Bundestagswahl eine Reihe von Niederlagen erlebt. Das jüngste zweistellige Ergebnis bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl hat indes mit der spezifischen Struktur der Hauptstadt-Wählerschaft zu tun.

Klar ist: Die Ankündigung Wagenknechts, nicht mehr für die Linke zu kandidieren, mag angesichts der zurückliegenden Konflikte um ihre Person nicht überraschend sein. Doch bringt die Entscheidung erneut Unruhe in eine Partei, die ohnehin schon müde vom vielen Streit ist. Keine gute Nachricht für die Landesverbände der Linken, die in diesem Jahr Wahlkämpfe zu bestreiten haben. Das gilt erst recht für die Linke in Bayern: Dort hat die Partei traditionell keinen allzu großen Rückhalt.

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