Rote Ampel vor einem Bus
Bildrechte: BR/Johanna Schlüter

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IT-Experten zeigen: Viele Ampeln sind anfällig für Manipulation

IT-Experten haben BR, NDR und dem Computermagazin c't gezeigt, wie einfach es ist, eine grüne Welle zu schalten oder Rotsignale zu verlängern. Das könnte den Verkehr lahmlegen, Einsatzwagen behindern. Auch bayerische Städte nutzen anfällige Technik.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Noch ist die Ampel gut 50 Meter entfernt, sie leuchtet rot, da drückt der IT-Experte auf die Enter-Taste auf seinem Laptop. Aus seinem Funkgerät knackt es kurz. Das ist das Signal, der IT-Experte zählt runter: "Zwei – eins". Die Ampel springt um. Einmal grüne Welle auf eigenen Wunsch, geliefert per Funksignal.

Seit Jahren diskutiert Deutschland über die Sicherheit kritischer Infrastrukturen. Dabei geht es oft um Angriffe auf das Stromnetz oder Krankenhäuser. Zuletzt geriet das Funknetz der Deutschen Bahn in die Schlagzeilen: Unbekannte hatten es im Oktober sabotiert, indem sie Glasfaserkabel zerschnitten. In Norddeutschland fuhren stundenlang keine Züge.

Experten weisen auf Sicherheitslücke bei Ampeln hin

IT-Experten haben sich nun an Reporter von BR, NDR und c't gewandt, um zu zeigen, wie einfach es möglich ist, Ampelsysteme zu manipulieren. Das ist strafbar, deshalb bleiben sie anonym. Sie wollen die Öffentlichkeit darauf hinweisen, dass es diese Sicherheitslücke gibt: Es können zwar nicht alle Ampeln einer Kreuzung gleichzeitig grün oder rot geschaltet werden. Aber Ampelphasen können künstlich verlängert werden; das erzeuge Staus oder verursache Chaos, erklären die Experten.

Sie nutzen das gleiche analoge Funksignal, das zum Beispiel von Bussen oder Trambahnen verwendet wird, um schneller durch den Verkehr zu kommen. Das Signal ist nicht verschlüsselt. Das Problem sei seit vielen Jahren bekannt, die analoge Funktechnik stammt aus den 1980er-Jahren.

Viele große Städte nutzen unsicheren Analogfunk

Reporter von BR Recherche, den Politikmagazinen kontrovers und Panorama 3 sowie dem Computermagazin c't haben die 80 größten Städte in Deutschland angefragt, welche Technik sie einsetzen, um Ampeln zu steuern, dazu weitere Kommunen in Bayern und im Norden. Das Ergebnis: Fast jede Stadt setzt auf Analogfunk und nicht auf digitale Technik, die sich leichter verschlüsseln lässt.

In Bayern verwenden unter anderem Nürnberg, München, Augsburg und Ingolstadt Analogfunk. Im Norden hat einzig Hamburg schon teilweise umgestellt. Auf unsere Anfrage räumen einige deutsche Städte ein, dass das System ausgenutzt werden könne. Man halte das Risiko für gering, heißt es dazu von der Münchner Verkehrsgesellschaft. Dass das Signal jemals absichtlich ausgenutzt wurde, hat keine Stadt bestätigt.

Manipulation mit Funkantenne und Laptop

Jeder, der etwas von Funktechnik verstehe, könne diese Ampeln steuern, erklären die IT-Experten. Als wir sie begleiten, haben sie auf dem Autodach eine Antenne aufgestellt, während der Fahrt fängt sie Signale auf, die von Bussen in der Umgebung versendet werden. Diese Signale verarbeitet ein Computerprogramm, das die Experten geschrieben haben. Zu sehen ist auf dem Laptop-Bildschirm unter anderem, welcher Linienbus das Signal verschickt hat.

Es ist genau dieses aufgezeichnete Signal, das die Experten, vereinfacht gesagt, wiederholen. Die Ampel geht also davon aus, dass ein weiterer Bus angekommen ist und Vorfahrt braucht: Also springt sie um auf Grün.

Die IT-Experten kritisieren, dass in vielen Städten nichts passiere, um die Ampeln und damit den Verkehr generell sicherer zu machen, obwohl die Städte das Problem kennen. Was sie aufzeigen, seien Sicherheitslücken - und da könne man es sich nicht leisten, so lange untätig zu bleiben: "Wenn die gemeldet werden, dann müssen sie in einem gewissen Zeitraum auch behoben werden. Sonst stellt es einfach ein Risiko dar", sagen die IT-Experten.

Problem: schleppende Digitalisierung

Mathias Fischer ist Informatiker und Spezialist für kritische Infrastrukturen, der Professor lehrt an der Universität Hamburg. "Das ist schon erschreckend, wie einfach es tatsächlich ist, Ampeln zu beeinflussen", sagt er zu den Rechercheergebnissen. Analogfunk sei ein "sehr altes Protokoll, das komplett ohne Sicherheitsmechanismen kommt". Einzelne Ampeln zu manipulieren, sei zwar lokal beschränkt, aber es zeige, wie die Digitalisierung auch im Verkehrssektor hinterherhinke. Es mangele an Geld und qualifiziertem Personal: "Es fehlen überall gut ausgebildete Informatiker, die die Digitalisierung stemmen können", so Fischer.

Digitalfunk bietet mehr Schutz

Um Ampeln abzusichern, gibt es die Möglichkeit, auf Digitalfunk umzustellen, der sich leichter verschlüsseln lässt. Ein Kopieren der Funksignale ist dann nicht ohne Weiteres mehr möglich. Die meisten der angefragten Städte planen aktuell noch keine Umrüstung, die Stadt Augsburg etwa gibt als Grund an: "Hohe Umstellungskosten der Fahrzeuge und der Infrastruktur".

Ende 2028 aber müssen die Städte umstellen: Nur bis dann darf der Analogfunk noch verwendet werden. Alternativen gibt es bereits. So wie sie die Stadt Kempten im Allgäu zum Beispiel verwendet. Vor den Manipulationen, die die IT-Experten uns gezeigt haben, wären sie in Kempten schon jetzt geschützt.

Video: Infrastruktur: Stau auf Knopfdruck

Die Signale von Ampeln können in vielen deutschen Großstädten manipuliert werden und lange Staus hervorrufen.
Bildrechte: picture-alliance/dpa | Peter Kneffel
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Ampeln

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