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Vorstellung Verfassungsschutzbericht 2017

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Verfassungsschutzbericht: 30.000 politisch motivierte Straftaten

In Deutschland hat es im vergangenen Jahr fast 30.000 politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund gegeben. Das geht aus dem aktuellen Verfassungsschutzbericht hervor, der heute vorgestellt wurde. Von Nadine Bader

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Islamistischer Terrorismus, Cyberangriffe und politisch motivierte Straftaten aus dem rechts- oder linksextremen Lager – aus Sicht von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) muss sich die Demokratie "gegen enorme Herausforderungen wappnen". Die Szene der "Reichsbürger" ist vor allem in Bayern ein Problem.

Fast 30.000 extremistische Delikte

Insgesamt gab es laut Verfassungsschutzbericht im vergangenen Jahr 29.855 Straftaten mit extremistischem Hintergrund. Ein leichter Rückgang, 2016 waren es 30.958. Das geht aus dem Bericht hervor, den der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, und Bundesinnenminister Horst Seehofer gemeinsam in Berlin vorgestellt haben. Zwei Drittel aller Straftaten sind dem rechtsextremen Lager zuzuordnen. Laut Seehofer ist die Gewaltbereitschaft unter Rechtsextremisten nach wie vor hoch. Zwar sei 2017 die Zahl rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten gesunken, aber im gleichen Zeitraum sei die Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten gestiegen.

"Die Gefahr, die von dieser Szene ausgeht, darf nicht unterschätzt werden. Die Verurteilungen im vergangenen Jahr belegen, wie wichtig weiterhin Wachsamkeit und Konsequenz von Nachrichtendiensten, Polizei- und Strafverfolgungsbehörden gegenüber jeder Form von Rechtsextremismus sind." Horst Seehofer (CSU), Bundesinnenminister

Krawalle beim G20-Gipfel in Hamburg

Nachdem linksextremistisch motivierte Gewalttaten 2016 zurückgegangen waren, sind sie 2017 um mehr als ein Drittel angestiegen. Die Ursache dafür sind laut Verfassungsschutzbericht vor allem die Krawalle beim G20-Gipfel in Hamburg. Insgesamt wurden 2017 knapp 6.400 linksextremistisch motivierte Straftaten, davon 1.648 Gewalttaten, verübt.

Mehr als die Hälfte (62,1 Prozent) der Gewalttaten weisen einen G20-Bezug auf. Der Bundesinnenminister verweist darauf, dass zu den Krawallen auch auf der Internetplattform "linksunten.indymedia" aufgerufen worden sei. Es sei daher richtig gewesen, dass sein Vorgänger Thomas de Maizière den hinter der Plattform stehenden Verein im August 2017 verboten und aufgelöst habe.

In Bayern viele Straftaten von "Reichsbürgern"

2017 wurden erstmals Straftaten statistisch erfasst, die "Reichsbürgern" oder "Selbstverwaltern" zugerechnet werden, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnen. Insgesamt werden diesem Spektrum 911 politisch motivierte Straftaten zugerechnet. Die – in absoluten Zahlen – meisten extremistischen Straftaten begingen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" in Bayern (345, davon 64 Gewalttaten und 118 Fälle von Nötigung bzw. Bedrohung). Der Bundesinnenminister fordert ein hartes Durchgreifen.

 "Wer die Existenz unseres Staates ablehnt und dessen Vertreter beleidigt, bedroht oder sogar tätlich angreift, muss und wird mit einer konsequenten Reaktion der Sicherheitsbehörden rechnen." Horst Seehofer (CSU), Bundesinnenminister

"Reichsbürger" berufen sich auf das historische Deutsche Reich, auf verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder auf ein selbst definiertes Naturrecht. Sie nehmen für sich in Anspruch, außerhalb der Rechtsordnung zu stehen und sind laut Verfassungsschutzbericht bereit, ihre Waffen für schwerste Gewalttaten einzusetzen. Im Oktober 2017 verurteilte das Landgericht Nürnberg-Fürth einen 50-Jährigen "Reichsbürger" aus Georgensgmünd wegen Mordes an einem Polizisten, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Haftstrafe.

Islamistische Szene: mehr Gewaltbereitschaft

Innerhalb der islamistischen Szene gibt es wie auch schon 2016 einen Zuwachs bei gewaltbereiten Gruppen. Diese Tendenz verdeutlichen laut Verfassungsschutzbericht die durchgeführten sowie die aufgedeckten und verhinderten terroristischen Anschläge in Deutschland in den Jahren 2016 und 2017.

Im vergangenen Jahr kam es in Deutschland zu einem islamistisch-terroristisch motivierten Anschlag. Im Juli 2017 stach ein abgelehnter palästinensischer Asylbewerber in einem Supermarkt in Hamburg mit einem Messer auf einen Kunden ein und verletzte diesen tödlich. Ein Anschlag erscheint im Vergleich zu den sechs Terroranschlägen des Vorjahres wenig, dies darf laut Bericht aber nicht über die weiterhin hohe Anschlagsgefahr in Deutschland hinwegtäuschen.

Anschlagsvorhaben frühzeitig vereitelt

Die im Jahr 2017 deutlich niedrigere Zahl islamistisch motivierter Terroranschläge in Deutschland ist laut Bericht unter anderem auch auf erfolgreiche Aufklärungsarbeit der Sicherheitsbehörden zurückzuführen. So seien in diesem Jahr – auch unter Mitwirkung des Bundesamtes für Verfassungsschutz – in einer Reihe von Fällen Anschlagsplanungen frühzeitig aufgedeckt oder Anschlagsvorhaben vereitelt worden, die sich bereits in einem konkreten Vorbereitungsstadium befanden.

Vor allem in der salafistischen Szene wird für den Jihad rekrutiert. Die Zahl der Salafisten in Deutschland ist 2017 auf 10.800 gestiegen. Ein Fokus der Sicherheitsbehörden liegt auch auf den Rückkehrern aus den Kampfgebieten in Syrien und im Irak. Aufgrund der militärischen Erfolge der Anti-IS-Koalition und des Assad-Regimes geht der Verfassungsschutz von mehr "Jihad-Rückkehrern" aus, die eine "schwer kalkulierbare und möglicherweise auch langfristige Gefahr" darstellen könnten.

Spionage und Cyberangriffe

Auch Cyberangriffe bereiten dem Verfassungsschutz zunehmend Sorge. Laut Bericht haben sich Cyberangriffe gegen IT-Infrastrukturen in den letzten Jahren als wichtige Methode ausländischer Nachrichtendienste etabliert. Besonders Russland und China hat das Bundesamt für Verfassungsschutz mehrfach als Angreifer erkannt. In der Wirtschaft sind vor allem Unternehmen aus den Bereichen Rüstung, Luft- und Raumfahrt, die Automobilindustrie sowie Forschungsinstitute betroffen.