Vor dem Hintergrund der Festnahme von EU-Vizeparlamentspräsidentin Kaili wegen Korruptionsvorwürfen im Zusammenhang mit Katar fordern offenbar mehrere EU-Fraktionen Konsequenzen. So sollen etwa geplante Verhandlungen über Visa-Erleichterungen für Bürger des Golfemirats ausgesetzt werden.
Barley: "Blankes Entsetzen"
Der Grünen-Europaabgeordnete Marquardt erklärte, er wolle zuerst abwarten, bis mehr Informationen über die Vorwürfe bekannt sind. Auch die Linksfraktion und die Sozialdemokraten plädierten für eine Verschiebung der Beratungen.
Im Fernsehinterview mit BR24 zeigte sich die SPD-Politikerin Katarina Barley schockiert über die Vorwürfe. Sie sprach wörtlich von einer "Katastrophe". Es herrsche blankes Entsetzen und auch Wut. Die Verantwortlichen würden jedoch in einer Demokratie zur Rechenschaft gezogen, so Barley, eine der neun Vizepräsidentinnen im Parlament. Sie hoffe nicht, dass die bisher bekannt gewordenen Informationen nicht nur die Spitze des Eisberges seien und dass "daraus kein Flächenbrand" werde.
In Zusammenhang mit Korruptionsermittlungen in Belgien war nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur die Vize-Präsidentin des Europaparlaments, Eva Kaili, festgenommen worden. Nach Angaben der belgischen Staatsanwaltschaft gab es in dem Fall am Freitag 16 Durchsuchungen. Fünf Personen wurden festgenommen.
Pasok-Partei drängt Kaili zu Verzicht auf Mandat
Die griechische sozialistische Partei Pasok, der Kaili angehört, drängt sie nun zum Verzicht auf ihren Sitz im Europaparlament. In der Partei werde "Druck ausgeübt, damit Frau Kaili ihren Parlamentssitz abgibt", sagte ein Mitglied der Sozialistischen Partei Griechenlands am Samstag der Nachrichtenagentur AFP in Athen. Die Griechin war am Freitagabend bereits aus ihrer Partei ausgeschlossen worden. Die sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament setzte Kailis Mitgliedschaft mit sofortiger Wirkung aus.
Auch Kailis Lebensgefährte unter den Festgenommenen
Unter den Festgenommenen ist Kailis Lebensgefährte Francesco Giorgi, der parlamentarischer Mitarbeiter der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament ist. Festgenommen wurden zudem der ehemalige sozialdemokratische Europaabgeordnete und heutige Chef der Nichtregierungsorganisation Fight Impunity, Pier Antonio Panzeri, sowie der Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), Luca Visentini.

Korruptionsverdacht gegen einzelne Politiker erschüttert EU-Parlament
Schmiergeld aus Katar an EU-Funktionsträger?
Bei den Ermittlungen gehe es um eine mutmaßliche kriminelle Organisation, versuchte Einflussnahme durch einen Golfstaat sowie Vorwürfe von Korruption und Geldwäsche, teilte die Behörde mit. Man habe seit mehreren Monaten den Verdacht, dass ein Golfstaat versuche, die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen des EU-Parlaments zu beeinflussen. Medienberichten zufolge handelt es sich um Katar. Beträchtliche Geldsummen oder Sachgeschenke seien vermutlich an Personen im Parlament verteilt worden, die eine politische oder strategische Position innehätten.
Lobrede auf Katar im EU-Parlament
Die nun festgenommene Kaili hatte noch am 21. November eine Rede im Europaparlament zur derzeit laufenden Fußball-Weltmeisterschaft in Katar gehalten. Darin bezeichnete die 44-jährige Politikerin das Sport-Ereignis als Beweis dafür, "dass Sportdiplomatie einen historischen Wandel in einem Land bewirken kann, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben". Katar sei etwa bei Arbeitsrechten ein Vorreiter. Zuvor hatte Kaili den katarischen Arbeitsminister Samikh Al Marri getroffen, wie der katarische EU-Botschafter Christian Tudor auf Twitter schrieb.
Kaili ist seit 2014 Europaabgeordnete und seit 2022 Vize-Präsidentin des Parlaments. Von 2004 bis 2007 war sie ihrem Lebenslauf auf der Parlaments-Homepage zufolge Nachrichtensprecherin und Journalistin, später auch noch PR-Beraterin in Griechenland.
Die belgische Staatsanwaltschaft teilte nun mit, unter den Befragten sei auch ein ehemaliger EU-Abgeordneter. Bei den Durchsuchungen wurden demnach unter anderem 600.000 Euro Bargeld sowie Handys beschlagnahmt.
EU-Parlamentspräsidentin betont Kampf gegen Korruption
Die Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola, hat nach der Festnahme ihrer Stellvertreterin Eva Kaili die Bedeutung des Kampfes gegen Korruption unterstrichen. "Unser Parlament steht entschieden gegen Korruption", schrieb die Politikerin aus Malta am Samstag auf Twitter. Zu den laufenden Ermittlungen gegen die griechische Vizepräsidentin - eine von 14 Stellvertretern - könne sie sich nicht äußern.
Metsola versicherte jedoch, das Parlament werde uneingeschränkt mit allen zuständigen Strafverfolgungs- und Justizbehörden zusammenarbeiten. "Wir werden alles tun, was wir können, um den Lauf der Gerechtigkeit zu unterstützen."
Ähnlich äußerte sich die sozialdemokratische Fraktion des Parlaments. Die Fraktion habe keine Toleranz für Korruption. Zugleich müssten im Parlament die Arbeit an allen Themen, die die Golfstaaten betreffen, sowie die Plenarabstimmungen dazu ausgesetzt werden.
Mit Informationen von dpa
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