Der Hauptangeklagte im Prozess um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke, Stephan Ernst (l)
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Der Hauptangeklagte im Prozess um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke, Stephan Ernst (l)

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Urteil im Mordprozess Walter Lübcke: Es bleiben Fragen offen

Der Hauptangeklagte Stephan Ernst wurde zur Höchststrafe verurteilt. Er wird das Gefängnis auf absehbare Zeit nicht mehr verlassen. Sicher kann sich die deutsche Gesellschaft deshalb aber nicht fühlen. Eine Analyse.

Das Urteil im Prozess um den Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke ist keine Überraschung. Stephan Ernst hatte in dem sieben Monate dauernden Verfahren gestanden, Walter Lübcke in der Nacht zum 2. Juni 2019 erschossen zu haben.

Dass er wegen Mordes zu einer lebenslangen Haft verurteilt werden würde, war also abzusehen. Auch dass der 5. Strafsenat des Frankfurter Oberlandesgerichtes die besondere Schwere der Schuld feststellen würde, war nach 44 Verhandlungstagen erwartet worden. Das Gericht folgt damit im Fall von Stephan Ernst ganz der Forderung der Anklage. Auch die spätere Anordnung der Sicherungsverwahrung behält sich das Gericht vor. Damit hat Stephan Ernst keine Chance, auf absehbare Zeit aus dem Gefängnis zu kommen. Der 47-jährige kommt mindestens 15 Jahre hinter Schloss und Riegel, und das ist gut so.

Ausreichend Beweise

Stephan Ernst ist ein vielfach vorbestrafter Rechtsextremist, der Lübcke seit dem Herbst 2015 wegen dessen Flüchtlingspolitik im Visier hatte. Über Jahrzehnte war er in der Kasseler Neonazi-Szene aktiv, war auch früher schon äußerst gewaltbereit. Was aber schließlich zur Verurteilung von Stephan Ernst führte, waren weniger seine Kontakte und seine rechtsextremistische Gesinnung, sondern in erster Linie die Beweislage. Am Körper des ermordeten Walter Lübcke fand sich eine DNA-Spur von Stephan Ernst, die Tatwaffe konnte sichergestellt werden und Ernst hat geredet. Zwar lieferte er drei sich widersprechende Schilderungen des Tatablaufs. Doch am Ende gestand er, Walter Lübcke in der Nacht zum 2. Juni 2019 auf dessen Terrasse erschossen zu haben.

Freispruch für Mitangeklagten

Doch in dem Verfahren ging es ebenso um die Rolle des Mitangeklagten Markus H.. Auch er ein seit Jahren aktiver Neonazi, der sich im Lübcke-Prozess durch Szeneanwälte verteidigen ließ. Markus H. schwieg zum Tatvorwurf der Beihilfe und wurde von diesem Vorwurf aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Er wurde lediglich wegen illegalen Waffenbesitzes zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Bundesanwaltschaft hatte für Markus H. eine Verurteilung zu neun Jahren und acht Monaten gefordert. Die Nebenklage, also die Familie von Walter Lübcke, hatte sogar für dessen Verurteilung als Mittäter plädiert.

Der "Macher" und der "Denker"

Die Anklage sieht in dem Rechtsextremisten Markus H. denjenigen, der Stephan Ernst "psychische Beihilfe" geleistet hat, indem er seinem Freund Kontakte zu einem Waffenhändler verschafft und ihn zu Schießübungen begleitet hat. Stephan Ernst sagt, H. sei bei dem Mord an Walter Lübcke am Tatort mit dabei gewesen. Eine Zeugin, die einst mit den beiden Angeklagten befreundet war, hatte Markus H. als den Denker und Stephan Ernst als den Macher beschrieben.

Dennoch verlässt der Neonazi Markus H. den Gerichtssaal als freier Mann. Die Öffentlichkeit erlebt wie bereits im Münchner NSU-Prozess, dass ausgerechnet diejenigen Angeklagten, die zum Tatvorwurf schweigen, mit milden Strafen davonkommen. Ein Signal, das in der gewaltbereiten rechtsextremen Szene regelrecht gefeiert wird. Der Staat erscheint an dieser Stelle nicht wehrhaft gegen seine Feinde.

Viele Fragen offen

Diese Wehrhaftigkeit muss nun der Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag beweisen. Es wird ein zähes Ringen werden um die Frage, welche Erkenntnisse der Verfassungsschutz über die Kasseler Neonazi-Szene hatte und hat. Auch steht die Frage im Raum, in welcher Rolle Ernst und H. in den geheim eingestuften NSU-Akten auftauchen. Licht in dieses Dunkel zu bringen, war nicht Aufgabe des Gerichts. Solange diese Fragen aber nicht geklärt sind, können sich vor allem diejenigen Menschen, die im Fokus der Rechtsextremen stehen nicht sicher fühlen.

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