Bildrechte: colourbox.com

Symbolbild Medikamente

Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Unterschätze Medikamenten-Nebenwirkungen

Jeden Tag kommen tausende Patienten in die Notaufnahmen deutscher Kliniken, weil ihnen Nebenwirkungen von Medikamenten massiv zu schaffen machen. Besonders gefährlich: die Kombination mehrerer Medikamente.

Über dieses Thema berichtet: mehr/wert.

Jeden Tag werden in der Notaufnahme der Klinik Fürth bis zu 20 Patienten eingeliefert mit Medikamentennebenwirkungen. Chefarzt Professor Harald Dormann hat gerade eine Studie im Auftrag des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte abgeschlossen. Er untersucht und dokumentiert diese Fälle. Aktuell wurde eine Frau gebracht, die eine Kombination von freiverkäuflichen Schmerzmitteln genommen hat - mit schier unglaublichen Folgen.

"Letztendlich haben wir hier einen Befund, freie Luft im Bauchraum als Zeichen wahrscheinlich eines Magendurchbruchs. Das heißt, sie muss jetzt operiert werden."Prof. Harald Dormann, Klinik Fürth

Notfall-Patienten auf Grund von Medikamenten-Nebenwirkungen

Das Ergebnis seiner Studie: Etwa acht Prozent der Notfallpatienten kommen aufgrund unerwünschter Medikamenten-Nebenwirkungen in die Klinik. Deutschlandweit ergibt das hochgerechnet, laut Dormann, etwa 1,6 Millionen Bundesbürger pro Jahr. Und das verursacht Dormann zufolge 2,5 Milliarden Euro direkte Krankenhauskosten.

Nicht immer überleben Patienten die Nebenwirkungen von Patienten.

"Es gibt Schätzungen, die etwa von 30.000 oder mehr nebenwirkungsbedingten Todesfällen pro Jahr in Deutschland ausgehen." Prof. Harald Dormann, Chefarzt der Notaufnahme, Klinik Fürth

Ursachenforschung – fast jedes dritte Medikament für Patienten nicht geeignet

Professor Andreas Sönnichsen von der Universität Witten/Herdecke hat sich auf die Suche nach einer Ursache gemacht. Selber auch praktizierender Arzt, leitet er eine EU-Studie mit rund 4.000 Patienten und über 300 Hausärzten. Es geht um ältere Patienten, die mehrere Medikamente einnehmen. Im Vorfeld dazu hat er herausgefunden: "dass fast jedes dritte Medikament für den Patienten eigentlich nicht geeignet ist - aus verschiedenen Gründen. Entweder es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis für den Nutzen, oder der Schaden ist größer als der Nutzen, oder es gibt relevante Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, oder die Dosierung ist falsch."

Es werden also häufig unpassende Medikamente verschrieben und Nebenwirkungen werden nicht erkannt.

Der bundeseinheitliche Medikationsplan

Abhilfe soll ein sogenannter bundeseinheitliche Medikationsplan bringen, mit den Medikamentennamen, dem Grund der Einnahme und vielen weiteren Details. Seit Oktober vergangenen Jahres haben Patienten, die mehr als drei Medikamente gleichzeitig nehmen, Anspruch darauf. Der Arzt soll ihn ausfüllen, der Patient soll ihn bei sich tragen. Eine Studie von Professor Dormann zeigt: nur jeder zehnte Patient, der Anspruch hätte auf einen bundeseinheitlichen Medikationsplan, hat einen und nur jeder Dritte hat ihn auch dabei, wenn er in die Klinik kommt.

Der digitale Medikationsplan

2019 soll der bundeseinheitliche Mediaktionsplan digital auf der Gesundheitskarte kommen, so will es die Regierung. Das bringt auch nichts, meint Professor Harald Dormann. Denn Apotheken haben keinen Zugriff auf die Gesundheitskarte. Rund ein Drittel der Medikamente sind aber ohne Rezept frei verkäuflich. "Die Apotheken müssen eine aktive Rolle in der Erstellung und Fortschreibung des Medikationsplanes spielen", fordert Professor Harald Dormann.

"Und der nächste Schritt muss sein, dass die Medikation tatsächlich überprüft wird, denn davon, dass ich sie dokumentiere, das ist zwar mal die Voraussetzung für eine Überprüfung, aber das garantiert mir noch nicht, dass diese Medikamente tatsächlich für den Patienten gut sind."Prof. Andreas Sönnichsen, Universität Witten/Herdecke

Fazit

Für die Zukunft sind Politik und Behörden gefordert, rascher und konsequenter zu handeln und auch Medikamente mit gefährlichen Nebenwirkungen zügig vom Markt zu nehmen. Und Patienten sollten mitdenken und ihre Rechte einfordern.