Kuh, Schwein, Huhn – ein krankes Trio, so der Vorwurf von foodwatch, einem Verein, der mehr Verbraucherrechte und gesunde Lebensmittel fordert. Studien, die die Organisation ausgewertet hat, kommen zu dem Ergebnis: Knapp 40 Prozent der Schweine, 97 Prozent der Legehennen und bis zu 40 Prozent der Kühe in Deutschland sind krank - von entzündeten Lungen über gebrochene Knochen bis hin zu eitrigen Eutern. Das Urteil von foodwatch: Nutztierhaltung macht Tiere krank.
Tierärzte widersprechen foodwatch
Das sei nicht grundsätzlich so, widerspricht Iris Fuchs von der bayerischen Tierärztekammer. "Das sind reißerische Aussagen, zu pauschal, das geht nicht." Es gebe viele Landwirtinnen und Landwirte, die wirklich gute Arbeit leisten. Für Iris Fuchs ist klar: Ob die Tiere gesund sind oder nicht, das hängt vor allem davon ab, wie gut die Landwirte das Tiergesundheitsmanagement im Griff haben. "Da überschätzen sich manche Landwirte bei der Einschätzung der Tiergesundheit", sagt Fuchs. Es mache dann auch keinen Unterschied, ob der Betrieb ökologisch oder konventionell arbeite.
Daten sammeln schützt vor Krankheit
In Teilen stimmt die Tierärztin, die am Landratsamt Bayreuth Veterinärdirektorin ist, foodwatch aber zu. Vor allem bei der Forderung nach Monitoring. Die Daten über Nutztiere, die in verschiedenen Bereichen schon vorlägen, müssten gesammelt und analysiert werden. "Das sagen wir als Tierärzte schon seit Jahrzehnten, dass wir eine Analyse aller Tiergesundheitsdaten brauchen. Nicht als Kontrolldatenbank. Wichtiger ist, dass ich im Vorfeld Krankheiten erkennen und vermeiden kann."
- Zum Artikel: Tierwohl - Was bringt eine Tiergesundheitsdatenbank?
Nur so könne den Tieren und auch den Landwirten geholfen werden. Denn wenn Tiere krank seien, litten nicht nur die Tiere - dann leide auch der Geldbeutel des Bauern. Wenn es ans Geld geht, lassen sich manche schon überzeugen", so Iris Fuchs.
Sind Nutztiere überzüchtet?
Bei der Tiergesundheit gibt es auch ganz grundsätzliche Probleme. Beispiel Zucht: Legehennen-Rassen etwa sind so gezüchtet, dass sie möglichst viele Eier legen. 300 pro Jahr ist der Durchschnitt in Deutschland. Doch die fortlaufende Eierschalenproduktion entzieht den Hühnern Kalzium. Daraus kann ein Mangel entstehen. Mögliche Folge: Das Brustbein der Tiere bricht unter der Last des Körpergewichts. Da in der Regel nahezu alle Landwirte aus Kostengründen auf die gleichen Hochleistungs-Rassen zurückgreifen, besteht das Problem unabhängig davon, ob die Tiere konventionell oder ökologisch gehalten werden.
Huhn im Stall
Zweinutzungshühner lösen nicht alle Probleme
Hühnerrassen, bei denen dieses Problem nicht besteht, sind die sogenannte Zweinutzungs-Rassen. Sie legen weniger Eier, setzen aber mehr Fleisch an als reine Legehennenrassen. Das bedeutet aber auch, dass sie beides nicht so effizient liefern. Heißt am Ende: weniger Geld für die Landwirte oder höhere Preise, die die Verbraucher für Eier und Hähnchenfleisch bezahlen müssen. Ein weiterer Aspekt: Hochleistungsrassen sind die besseren Futterverwerter. Das bedeutet, für die gleiche Menge Fleisch und Eier müssen sie weniger fressen als Zweinutzungstiere – und das reduziert wiederum den Co2-Abdruck der Lebensmittel.
Tierzüchter: Hochleistung muss nicht krank machen
Es gebe keinen Grund, nicht auf Leistung zu züchten. Das sagt Professor Kai-Uwe Götz. Er leitet das Institut für Tierzucht an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft und ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Bei Kühen und Schweinen habe die Zucht auf Leistung nicht dazu geführt, dass die Nutztiere kränker würden, sagt Götz. Das Entscheidende sei das Management im Stall. "Nur wer misst, kann steuern." Doch den Landwirten fehlten oft die notwendigen Gesundheitsdaten. Da stimme auch er der foodwatch-Forderung zu, so Götz: Informationen über den Zustand der Tiere müssten gezielter gesammelt und analysiert werden.
Nutzungsdauer der Tiere steigt
Der foodwatch-Forderung, dass die Tiere deutlich länger "genutzt" werden sollen, also länger leben dürfen, widerspricht Götz allerdings. "Hier geistern viele falsche Vorstellungen durch die Medien und die Köpfe von Leuten, die solche Berichte schreiben." Milchkühe in Bayern würden inzwischen rund drei Monate länger im Stall als noch vor zehn Jahren. Aber Kühe sollten nicht zehn oder 20 Jahren leben, wie oft gefordert. "Wenn die Kühe im Durchschnitt drei bis vier Jahre Nutzungsdauer haben, dann erreichen wir die optimale Balance." Soll heißen: die Balance zwischen Rentabilität und Tierwohl.
Foodwatch-Kritik: „Tierwohl“-Produkte trotz Missständen
Obwohl es laut foodwatch in deutschen Nutztier-Ställen viele Probleme gibt, werden Produkte mit dem Begriff "Tierwohl" beworben. Zwar stehen dahinter zum Teil klare Standards, wie etwa beim Label des Deutschen Tierschutzbundes für Hühner, Schweine und Milchkühe. Aber: Für den Begriff "Tierwohl" gibt es bisher keine allgemeingültige Definition. Produkte, die mit dem Begriff betitelt werden, sagen damit im Zweifel nur aus, dass bei der Haltung nicht gegen gesetzliche Auflagen verstoßen wird. Oder wenn das Produkt mit einer höheren Haltungsstufe ausgezeichnet wird, dass die Tiere mehr Platz haben als gesetzlich vorgeschrieben. Das sage aber nichts aus über den Gesundheitszustand der Tiere, so die Kritik.
Das Wort "Tierwohl" soll Bedeutung bekommen
Um das zu ändern, soll ein Forschungsvorhaben im Auftrag der Bundesregierung bis zum Sommer ein nationales Tierwohl-Monitoring erarbeiten. Also klare Kriterien festlegen, nach denen Betriebe beurteilt werden können. Keine leichte Aufgabe, wie Angela Bergschmidt vom Thünen-Institut für Betriebswirtschaft einräumt. Sie ist die Leiterin des Projekts. "Eine Schwierigkeit bei der Erfassung von Tierwohl ist, dass es nicht als Ganzes gemessen wird, sondern anhand von einzelnen Indikatoren. Zum Beispiel Lahmheit, Sterblichkeit, Weidegang etc. - und dass diese einzelnen Indikatoren nicht einfach zusammengefügt werden können zu einem "Gesamt-Tierwohl."
Die emotionale Lage von Tieren
Abstrakt betrachtet, so Angela Bergschmidt, können hinter dem Tierwohl-Begriff drei übergeordnete Aspekte benannt werden: Wie gesund die Tiere sind, wie sie ihre natürlichen Verhaltensweisen ausführen können und in welchem emotionalen Zustand sie sind. Teilweise verstärken sich diese Aspekte gegenseitig, teilweise konkurrieren sie miteinander. Welche Bedeutung dabei welchem Aspekt zugesprochen wird, hängt häufig von den Ansichten derjenigen ab, die sie beurteilen.
Entscheidend: Haltung, Transport, Schlachtung
Das größte Defizit aus Sicht der Wissenschaftlerin: Bei der Produktion von Lebensmitteln werden viele Daten erhoben und auch veröffentlicht, beim Tierwohl dagegen passiert dies bisher nicht. Aber diese Daten würden gebraucht, um die drängendsten Tierwohl-Probleme zu identifizieren, um Skandalmeldungen aus den Medien einordnen zu können – handelt es sich um Einzelfälle oder um häufige Probleme – und um die Wirksamkeit von politischen Tierwohl-Maßnahmen zu prüfen. All das soll das neu entwickelte Tierwohl-Monitoring ermöglichen. Dabei soll aber nicht nur die Nutztierhaltung in den landwirtschaftlichen Betrieben betrachtet werden. Auch der Transport und die Schlachtung werden mit einbezogen. Am 22. Juni 2023 soll der Bericht veröffentlicht werden.
Sind Verbraucher mit "schuld am Tierleid"?
Laut foodwatch unterstützen Verbraucher Tierleid in den Ställen, wenn sie tierische Produkte kaufen. Daniela Krehl von der Verbraucherzentrale Bayern sieht das nicht so. "Uns wäre sehr wichtig, dass hier nicht das Vertrauen gegenüber Bio zerstört wird." In der Biolandwirtschaft gebe es deutlich mehr Platz für die Tiere, es fände eine langsamere und schonendere Aufzucht statt und die Tiere hätten eher Auslauf im Freien. Für Daniela Krehl sind das alles Faktoren für mehr Tierwohl – und für hochwertige Milch, Eier und Fleisch.
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